6.1 Fragestellungen einer semantischen
Theorie
Semantik ist der Teil der Grammatik, der (i) bestimmt, was Bedeutungen sind und (ii) die Zuordnung zwischen phonologischen Strukturen und Bedeutungen (vermittelt durch Syntax) herstellt.
Was ist Bedeutung?
(a) Diese Wahl bedeutet für mich sehr
viel.
(b) Die Schließung der Universität
bedeutet, daß ich mir eine neue Arbeit suchen muß.
(c) Rauch bedeutet Feuer (natürliche
Bedeutung)
(d) Das Wort Junggeselle bedeutet erwachsener
unverheirateter Mann (linguistische Bedeutung)
(e) Fritz sagt: "Es ist warm hier". Was Fritz
sagt, bedeutet, daß wir die Heizung abstellen sollen (Sprecherbedeutung)
Drei Theorien der Bedeutung
(a) Bezeichnungstheorie
Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks
ist das, was der Ausdruck aktuell bezeichnet.
Daraus folgt:
(i) Wenn ein Ausdruck eine Bedeutung hat,
dann bezeichnet er etwas.
(ii) Wenn zwei Ausdrücke das Gleiche
bezeichnen, dann sind sie bedeutungsgleich.
(b) Mentalistische Theorien
Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks ist
die Idee, die mit dem Ausdruck im Geist des Sprechers/Hörers verbunden
ist.
(a) Idee = mentales Bild
(b) Idee = (mentaler) Begriff. Ein Begriff
ist bestimmt durch seinen Inhalt. Der Begriffsinhalt determiniert den Begriffsumfang
(Extension, Referenzbereich, das Bezeichnete).
Was ist der Inhalt eines Begriffs?
(i) Checkliste aus semantischen Merkmalen.
Die einzelnen Merkmale sind perzeptiv verankert und bestimmen so einen
Referenzbereich.
(ii) andere Auffassungen: Prototypen, Stellung
in semantischen Netzen, schematische Theorien (s. theoretische Begriffe
wie Elektron, Gravitation).
(c) Gebrauchstheorie
Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks ist
keine bestimmte Entität, sondern eine Größe, die sich erst
beim Gebrauch der Sprache zeigt.
Was soll eine semantische
Theorie erklären?
(1) semantische Anomalien: Die Relativitätstheorie
ist blau
(2) semantische Widersprüche: Meine unverheiratete
Schwester ist mit einem Junggesellen verheiratet.
(3) semantische Ambiguitäten: In New
York gibt es eine Bank
(4) Synonymie: Die Tasse ist zu
klein versus Die Tasse ist nicht groß genug
(5) Entailment Hans gelang es,
die Aufgabe zu lösen ? Hans löste die Aufgabe
(6) Präsupposition Hans gelang
es, die Aufgabe zu lösen ?p Hans versuchte, die Aufgabe zu lösen
(7) Bildung neuer Bedeutungen rot + Apfel
= roter Apfel
Fisch ++ Frau = Fischfrau (??)
(8) Situationsbezug: Dieser Farbfleck
ist rosa.
Dieser
Farbfleck erscheint mir rot, ist aber in Wirklichkeit weiß.
(9) mögliche und reale Beziehungen zwischen
Wortformen und Bedeutungen (= Begriffen).
Wenn
eine Sprache über zwei elementare Farbwörter verfügt, dann
bezeichnet eines davon alle warmen Farben und das andere alle kühlen
Farbe.
(10) Allgemein: mögliche und reale Laut-Bedeutungszuordnungen
(Phrasen, Sätze, Diskurse).
6.2 Farbwörter
Im Zusammenhang mit den Farbwörtern stoßen
wir noch auf eine andere interessante Frage, die nach der Willkürlichkeit
des Zusammenhangs zwischen Wörtern und den durch sie bezeichneten
Begriffen. Damit ist der zweite Aspekt des Einflusses der Sprachwelt auf
die Erfahrungswelt angesprochen. Existieren Begriffe unabhängig von
ihren sprachlichen Bezeichnungen? Ist das Sprachsystem in dem Sinne rein
konventionell, daß es einfach eine willkürliche Verknüpfung
zwischen Wörtern und Begriffen herstellt? Ausgehend von den bahnbrechenden
Untersuchungen von Berlin & Kay (1969) sind im Zusammenhang mit dem
System der Farbwörter für beide Fragestellungen inzwischen empirisch
abgesicherte Antworten gefunden worden.
(1) Bestimmt die Anzahl und Art der grundlegenden
Farbwörter einer Sprache, wie unser Sprecher den Regenbogen sieht?
Antwort: Nein, mit geringen Einschränkungen. |
(2) Ist für jede Zerlegung des Spektrums
des Regenbogens ein natürliches Farbwortsystem möglich? Ist die
Zuordnung zwischen Farbwörtern und Farbkategorien ganz willkürlich?
Antwort: Nein, da gibt es sehr starke universelle Begrenzungen. |
Untersuchung von Farbwortfeldern (Berlin & Kay 1969)
Die Untersuchungen von Berlin und Kay führten zu besonders aufregenden Resultaten, da sie sich von zwei methodologischen Erwägungen leiten ließen:
(1) Konzentration auf Grundfarbwörter
Methode
98 Sprachen untersucht (davon 20 genauer)
Munsell-Farbtafel
Farbton (40 Stufen)
Helligkeit (8 Stufen) Sättigung (maximal) 9-stufige Grauleiter |
VP sollten für jedes Grundfarbwort x auf
Farbtafel
(a) den Farbbereich kennzeichnen, der sicher
mit x bezeichnet wird
(b) die besten (typischsten) Exemplare von
x kennzeichnen
Die Hauptergebnisse der Untersuchung von 1969:
(1) Anzahl der Grundfarbwörter einer Sprache liegt zwischen 2 und 11 (im dt.: weiß, schwarz, rot, grün, gelb, blau, braun, violett, rosa, grün, grau). Sprecher von Sprachen mit nur wenigen Farbwörtern sind nicht farbenblind! Ihre Differenzierungsleistungen hinsichtlich Farbunterschieden sind kaum von den Leistungen von Sprechern farbwortreicher Sprachen zu unterscheiden.
(2) Grundfarbwörter kategorisieren den Farbraum nicht willkürlich. Zwar sind die Kategoriengrenzen (von Beobachter zu Beobachter und Sprache zu Sprache) sehr variabel, doch die fokalen Farbwerte (11 prototypische Farbausprägungen) stimmen überein. Dies gilt besonders für fokales (reines) ROT, GRÜN, BLAU, GELB, SCHWARZ, WEIß; hier sind inner- und intersprachliche Varianz von etwa gleicher Größenordnung.
Hauptergebnis der Untersuchung von 20 Sprachen. Die für
die einzelnen Farbwörter als typisch eingeschätzten Farbwerte
sind durch Punkte markiert. Die Ziffern geben jeweils die Zahl der untersuchten
Sprachen an, für die ein Farbwort für den markierten Bereich
existiert. Man erkennt deutlich die Konzentration der Einträge
um die sogen. fokalen Farbbereiche.
Das ist ein Beleg dafür, daß sich Sprachunterschiede nicht beliebige Kategorisierungsraster auslösen. Der Wahrnehmungsapparat setzt hier einschränkende Bedingungen.
(3) Unter den 211 denkbaren Konstallationen
der 11 Grundkategorien wurden nur 22 Kombinationen (1%) gefunden,
denen 7 Sprachstufen entsprechen. Schema für implikative Universalien:
WEIß
SCHWARZ |
< ROT < | GRÜN
GELB |
< BLAU | < BRAUN | VIOLETT
ROSA ORANGE GRAU |
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Dies weist deutlich darauf hin, daß der Wahrnehmungsapparat dem Sprachsystem Beschränkungen auferlegt und nicht umgekehrt das Sprachsystem den Wahrnehmungsapparat beeinflußt (so wie es die These von Sapir-Whorf suggeriert).
Spätere Revisionen der Hauptergebnisse
(1) Die Farbkategorie GRAU erscheint nicht erst in Sprachen der Stufe VII (Mandarin, Tsonga, Hopi)
(2) Es gibt zahlreiche Sprachen, die keine separaten Terme für GRÜN und BLAU haben, wohl aber für weiter rechts stehende Kategorien (Zulu u. andere Bantu-Sprachen: BRAUN)
(3) Die auf Stufe I einkodierten beiden Farbkategorien
sind nicht achromatisch (hell/dunkel) sondern panchromatisch.
Eine Sprache mit nur zwei Basisfarbbezeichnungen
ist Dani (Hochland von Neuguinea): mola: "hell-warm" ; mili:
"dunkel-kühl"
Annahme
1969 |
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Revision
1978 |
Außerdem stellte sich heraus, daß die gebildeten Farbkategorien mehrere Foki besitzen können. Das ist unmittelbar einsichtig für die durch Mola und Mili bezeichneten Kategorien.
Kleines Intermezzo: Farbtheorien und Farbphysilogie
Farbe gehört einem Materialstück
nicht in vergleichbarer Weise als Eigenschaft an wie Form und Größe.
Farbe existiert nur als Sinnesempfindung eines Betrachters. ("Die Farbe
sei die gesetzmäßige Natur in bezug auf den Sinn des Auges").
www | rrr
eee |
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Man blicke ca. 30 bis 60 sec. ganz starr auf das links gezeigte Negativ. Wenn man dann den Blick auf die weiße Fläche lenkt, wird man für kurze Zeit das Positiv sehen! Das ist das Phänomen negativer Nachbilder. |
Die folgende Übersicht verdeutlicht, daß
sich die Farbwahrnehmung nicht allein durch die auf der Netzhaut befindlichen
Rezeptoren bestimmt, sondern wesentlich durch bipolare Nervenzellen in
der Sehrindenfeldern bestimmt ist. Ob auf dem Wege von der Netzhaut zu
den Sehrindenfeldern Beeinflussungen durch Signale vom Sprachsystem möglich
sind, kann nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Die Sprache muß
jedenfalls nicht direkt auf die Netzhaut vordringen und diese neu "verdrahten",
um unsere Wahrnehmungen zu beeinflussen. (Daß ist die einzige
Möglichkeit, die Pinker sieht, um die Whorfsche These im Zusammenhang
mit Farben zu retten. Diese Möglichkeit ist natürlich absurd
und kann ausgeschlossen werden; vgl. Pinker 1998, S. 73). Die Übersicht
verdeutlicht auch, daß auf der Netzhaut eine Dreifarbentheorie angemessen
erscheint, in der Sehrinde jedoch eine Gegenfarbentheorie.
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Was ist die Bedeutung der Farbwörter?
Die sechs primären Farbkategorien ROT, GRÜN, BLAU, GELB, SCHWARZ, WEIß lassen sich auffassen als Merkmale mit einem Ausprägungsgrad zwischen 0 (minimale Ausprägung) und 1 (maximale Ausprägung). Derartige Merkmale mit kontinuierlicher Ausprägung heißen auch Zugehörigkeitsfunktionen.
Damit sind 6 Fokalpunkte definiert. Den elementaren
Farbwörtern rot, grün, gelb, blau, weiß, schwarz
werden diese primären Farbkategorien/Merkmale/Zugehörigkeitsfunktionen
zugeordnet:
rot
- ROT
grün
- GRÜN
gelb
- GELB
blau
- BLAU
weiß
- WEIß
schwarz -
SCHWARZ
Mit Hilfe gewisser "logischer" Verknüpfungsoperationen lassen sich nun neue Farbkategorien bilden und den verbleibenden Farbwörtern zuordnen:
A ODER B = Max[A, B]
GRÜN ODER BLAU (kühl)
ROT ODER GELB (warm)
ROT ODER GELB ODER WEIß
(mola)
GRÜN ODER BLAU ODER SCHWARZ
(mili)
A UND B = 2 Min[A, B]
SCHWARZ UND GELB (braun)
ROT UND BLAU (violett)
ROT UND WEIß (rosa)
ROT UND GELB (orange)
WEIß UND SCHWARZ (grau)
Ein bislang ungelöstes theoretisches Problem betrifft die Erklärung
der Farbwortuniversalien.
6.3 Welchen Anteil hat die
Sprache an der Erfahrung
Geschichtliches
Wilhelm
von Humboldt ist wohl der erste gewesen, der versucht hat, mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit für den Anteil der Sprache an unseren Erfahrungen
zu argumentieren.
Wenn man vom Anteil der Sprache an der Erfahrung
spricht, dann sollte man zwei Aspekte voneinander unterscheiden
Sapir-Whorf-Hypothese des linguistischen
Determinismus
Ein linguistisches System ist nicht bloß
ein reproduktives System zum Ausdruck von Gedanken, sondern vielmehr ein
System, daß die Gedanken selbst formt, Schema und Anleitung für
die geistige Aktivität des Indiviuums ist, für die Analyse seiner
Eindrücke und für die Synthese dessen, was ihm an Vorstellungen
zur Verfügung steht. Die Formulierung von Gedanken ist kein rationaler
Vorgang, der im alten Sinne dieses Wortes rational ist, sondern er ist
beeinflußt von der jeweiligen Grammatik [im engeren Sinne!]. Er ist
daher für verschiedenen Grammatiken mehr oder weniger verschieden.
... Wie wir die Natur aufgliedern, sie in Begriffen organisieren und ihnen
Bedeutungen zuschreiben, das ist weitgehend davon bestimmt, daß wir
an einem Abkommen beteiligt sind, sie in dieser Weise zu organisieren -
einem Abkommen, das für unsere ganze Sprachgemeinschaft gilt und in
den Strukturen unserer Sprache kodifiziert ist.
Die Sprache determiniert unser
Denken.
Denken ohne Sprache ist nicht oder nur sehr rudimentär möglich |
Linguistisches Relativitätsprinzip
Nicht alle Beobachter werden durch die gleichen
physikalischen Sachverhalte zu einem gleichen Weltbild geführt, es
sei denn ihre linguistischen Hintergründe sind ähnlich oder könne
in irgendeiner Weise auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.
Unterschiede zwischen den Sprachen bewirken Unterschiede in den gedanklichen Strukturen ihrer Sprecher (bei gleicher äußerer Situation) |
(1) Zeitbegriff der Hopi
"Der grundlegend andere Zeitbegriff der Hopi
gehört zu den angeblich spektakulärsten Beweisen für die
Variabilität des Geistes. Whorf schrieb, die Sprache der Hopi
'enthalte keine Wörter, grammatische Formen, Konstruktionen oder Ausdrücke,
die sich direkt auf das beziehen, was Zeit nennen. Sie beziehen
sich auch weder auf Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft noch auf Dauern
oder Bleiben'. Ebenso behauptete er, die Hopi hätten 'keinen allgemeinen
Begriff oder keine allgemeine Anschauung der ZEIT als eines gleichmäßig
fließenden Kontinuums, in dem alle Teile des Universums mit gleicher
Geschwindigkeit aus einer Zukunft durch eine Gegenwart in die Vergangenheit
wandern'. Nach Whorf stellen sie sich Ereignisse nicht als Zeitpunkte oder
Zeitspannen wie Tage vor, die zählbar wären. Vielmehr schienen
sie sich auf den Wandel und Prozeß selbst zu konzentrieren. ... Auch
zeigten die Hopi wenig Interesse an 'exakten Zeitabläufen, Datierungen,
Kalendern oder Chronologien'.
Was ist aber dann der folgende aus dem Hopi
übertragene Satz einzuschätzen?
(2) Eskimovokabular
Verbreitet findet man die Meinung, das Eskimos
eine Vielzahl von Wörtern für Schnee besitzen - die Meinungen
variieren von 20 bis zu 400 Wörtern. Tatsächlich gibt es grade
zwei Wörter, oder wenn man etwas großzügiger zählt,
so um ein Dutzend. (Das Deutsche ist da auch nicht viel schlechter
dran: Schnee, Firn, Harsch, Hagel, Graupel, Eisregen, Blizzard, Lawine)
"Woher kam der Mythos? Jedenfalls nicht von jemanden, der die von Sibirien bis Grönland verbreiteten polysynthetischen Sprachfamilien des Yupik und Inupik tatsächlich untersucht hat. Die Anthropologin Laura Martin hat belegt, wie die Legende nach Art einer Klatschgeschichte aufgebläht und mit jeder Wiederholung weiter übertrieben wurde. 1911 hatte Boas beiläufig erwähnt, daß Eskimos vier verschiedene Wörterfür Schnee verwenden. Whorf erweiterte die Zahl auf sieben und ließ anklingen, daß es noch mehr gab. Sein Artikel fand in mehreren Auflagen weite Verbreitung und wurde danach in Lehrbüchern und populärwissenschaftlichen Werken über Sprache zitiert, was immer höher gegriffeneSchätzungen in anderen Lehrbüchern, Aufsätzen und Zeitungsartikeln zur Folge hatte." (Pinker 1998, S. 77f)
Zur Klarstellung sollte gesagt sein, daß auch die Existenz von 800 Wörtern für Schnee in irgendeiner Schneelingssprache weder die Sapir-Whorf-These noch das linguistische Relativitätsprinzip stützen würde. Dadurch ließen sich lediglich gewisse, begrifflich bereits vorhandene Unterscheidungen besser und leichter ausdrücken als durch die sonst erforderlichen langen und umständlichen Umschreibungen.
(3) Konjunktiv und kontrafaktische Situationen
Sprecher des Englsichen oder Deutschen kennen die grammatische Konstruktion
des Konjunktivs. Damit werden kontrafaktische Situationen ausgedrückt.
Im Chinesischen dagegen gibt es keinen Konjunktive und auch keine anderen
einfachen grammatischen Konstruktionen, die einen einfachen kontrafaktischen
Tatbestand einfach auszudrücken gestattete. So müßte man
statt
Würde Peter heute zur Schule gehen, bekäme er eine schlechte Note in Mathematik
etwa sagen
Falls Peter heute zur Schule geht ... aber er geht garnicht zur Schule ... aber wenn er geht, dann bekommt er eine schlechte Note in Mathematik
Der amerikanische Linguist Bloom schrieb nun Geschichten mit Sequenzen von Schlußfolgerungen aus einer kontrafaktischen Prämisse und legte sie chinesischen und amerikanischen Versuchspersonen in der jeweiligen Muttersprache vor. Beispiel:
Allerdings stellten Nachuntersuchungen, an denen fernöstliche Kognitionspsychologen beteiligt waren, fest, daß Blooms chinesische Übersetzungen keineswegs den amerikanischen Texten entsprachen, sondern eine Menge von Zweideutigkeiten enthielten. Da die chinesischen Versuchspersonen (allesamt Collegstudenten) sehr geübt im wissenschaftlichen Dewnken waren, entdeckten sie sofort diese Mehrdeutigkeiten sofort und zogen daraus die korrekten Schlußfolgerungen, die strikte Nein-Antworten verwehrten. Mit der Behebung dieser Schwachstellen verschwanden auch die Unterschiede.
Moderater Whorfianismus
Die psycholinguitsichen Ergebniss von Berlin,
Kay und vielen anderen und neuere neurophysiologische Befunde können
wie folgt zusammengefaßt werden:
(1) Die Neurophysiologie der Farbwahrnehmung ist kulturunabhängig
(2) Farbwahrnehmung ist im wesentlichen sprachunabhängig, dies ergibt sich insbesondere aus der Existenz von Fokalpunkten der Farbwahrnehmung (ROT, GRÜN, BLAU, GELB). Sprecher von Dani sind nicht farbenblind und können genau so gut zwischen ROT und GELB (beides mola) unterscheiden wie zwischen ROT (mola) und BLAU (mili)
(3) Jedoch gibt es im Bereich zwischen den Fokalpunkten Beeinflussungen durch das jeweilige System von Farbwörtern. Dies wurde durch ein Experiment von Kay & Kempton gezeig, daß abschließend kurz dargestellt wird.
Das Kay-Kempton-Experiment
Einer englischsprachigen und einer Tarahumara
(eine Variante des Uto-Aztekischen) sprechenden Gruppe von Versuchspersonen
wurden drei verschiedenfarbige Chips vorgelegt (siehe das Schema unten).
Dabei wurde den Personen die Frage gestellt, welcher Chip sich farblich
am meisten von den anderen unterscheide.
Chip A | Chip B | Chip C | |
Wellenlänge (fiktiv) | 100 | 160 | 200 |
Englisch | blue | green | |
Tarahumara | (ein einziger Farbbegriff) |
Deutung: Da im Tarahumara für alle drei Farbnuancen nur eine Bezeichnung existiert (siyóname), wurde der physikalisch unterschiedlichste Chip ausgewählt. In der englischen Sprache dagegen verläuft zwischen Chip B und C eine semantische Grenze zwischen blue und green, so dass das konzeptuelle System ihrer Sprache die Engländer Chip C wählen ließ. Das heißt, das konzeptuelle System der Sprache beeinflusst unser Handeln.
Als Folge derartiger Befunde entwickelte sich der moderate Whorfianismus, nach dem Sprache Denken zwar beeinflusst, aber nicht determiniert. Wie stark diese Beeinflussung tatsächlich ist, darüber wird wohl noch geraume Zeit debattiert werden. Unbestritten ist, daß die Fähigkeit, Farben zu unterscheiden, nicht automatisch zu Farbbegriffen führt. Wenn jemand blau von grün unterscheiden kann, muß er nicht automatisch über die Begriffe BLAU und GRÜN verfügen. Wir alle können Zahlen voneinander unterscheiden. Das heißt jedoch noch lange nicht, daß wir alle über die gleichen Zahlbegriffe verfügen (z.B. werden die Wenigsten den Begriff der vollkommenen Zahl kennen, obwohl sie ihn leicht aufgrund ihres Unterscheidungsvermögens lernen können). Sprache spielt also bei der Konstituierung von Begriffen eine gewisse Rolle, obwohl die begrifflichen Strukturen auch ohne Sprachsystem zu einem guten Teil "vorgebildet" sind. Das Bild, demzufolge die Rolle von Wörter einfach in der Etikettierung bereits vorhandener Begriffe besteht, ist jedenfalls sehr fragwürdig.
Whorf hat natürlich recht, wenn er behauptet, daß Unterscheidungen, für die es keine einfachen und stereotypen sprachlichen Ausdrucksformen gibt, keine solchen häufigen und systematischen Unterscheidungen sind. Jedoch belegt dies nicht unsere totale Abhängigkeit von der Sprache. Eher ist es umgekehrt, daß gewisse neue Erfahrungen zum sprachlichen Wandel beitragen. Dies wurde übrigens weder von Humboldt noch von Whorf jemals bestritten.
Die These, daß ein
Volk irgendwoher eine Sprache annimmt, die dann seine typischen Erfahrungs-,
Handlungs- und Lebensformen bestimmt, wird weder von ihnen vertreten, noch
wäre sie im mindesten plausibel. Vielmehr wird die Sprache aus der
Auseinandersetzung mit den materiellen, sozialen und religiösen
Bedürfnissen und Lebensumständen eines Volkes geprägt. ...
Wenn man hingegen den einzelnen
betrachtet, so ist es sinnvoll zu sagen, daß er von der Kultur, in
die er hineingeboren wird, geprägt wird, und es ist auch sinnvoll
zu sagen, daß die Sprache, die er übernimmt, seine Erfahrungen
mitbestimmt. ... Weil wir also mit der Sprache Unterscheidungen und Bestimmungen
erlernen und nicht nur lernen, immer schon geübte Unterscheidungen
und Bestimmungen auszudrücken, beeinflußt die Sprache die Art
und Weise, wie der einzelne erfährt und wahrnimmt, und was er wahrnimmt.
... Auch für den einzelnen besteht natürlci nicht eine totale
Abhängigkeit von der Sprache, so daß er nicht in der Lage wäre,
andere Unterscheidungen zu machen, als man sie sprachlich einfach ausdrücken
kann. Denn zunächst einmal ist eine hinreichend ausdrucksfähige
Sprache so plastisch, daß man in ihr auch neue Unterscheidungen formulieren
kann. (Kutschera 1975, S. 308 f.)
Literatur
6.4 Pragmatik
Sprache dient der Kommunikation. Wirkliche
Kommunikation ist nur denkbar, wenn der Produzent eines „Signals" damit
etwas meint, er dem Signal also eine Bedeutung (in einem
der Sinne dieses Wortes) zuschreibt. Dies scheinen Binsenweisheiten. Doch
in den meisten Arbeiten wird der Bedeutungsbegriff ganz unabhängig
von einem kommunikativen Rahmen entwickelt. Paul Grice hat versucht, diese
Lücke zu schließen. Zur Einführung in diese Problematik
ist es zweckmäßig, mit einigen einfachen Grundbegriffen aus
der technischen Informatik zu beginnen.
Das Kodierungsmodell der Kommunikation
Kode = System, daß Paare [Mitteilung,
Signal] erzeugt.
Signal = Modifikation der äußeren
Umgebung
Mitteilung = interner Zustand, der bestimmte
semantische Inhalte darstellt (Gedanken, Sachverhalte).
Beispiele
(1) Morsekode
(2) "Sprache" der Bienen
(3) natürliche Sprachen?
Shannon und Weavers Kodierungsmodell ist inspiriert von der Technologie der elektronischen Datenübertragung. Die Basisidee ist jedoch viel älter:
(1) Aristoteles: Sprachlaute sind Symbole zur Beeinflussung der Seele
(2) Grammaire de Port-Royal: ... Wörter können als bestimmte Lautfolgen angesehen werden, die von Menschen als Zeichen benutzt werden, um ihre Gedanken auszudrücken.
(3)Locke: „Es war daher für den Menschen außerdem die Fähigkeit erforderlich, diese Laute als Zeichen für innere Vorstellungen zu verwenden. Er mußte sie zu Kennzeichen für die in seinem Geist vorhandenen Ideen machen können, wodurch sie auch anderen erkennbar und die Gedanken des menschlichen Geistes von einem zum anderen übermittelt werden konnten."
(4)Saussure: Sprache (Language) ist ein System von Zeichen, das Ideen ausdrückt. Es ist daher mit Systemen des Schreibens, den (gestischen) Alphabeten Taubstummer, symbolischer Riten, politischer Formeln, militärischer Signale etc. vergleichbar.
(5)Stevenson (1944) (zit. nach Grice): Kausale Theorien: x bedeutet nur dann etwas, wenn x die Tendenz hat, bei einem Hörer eine (kognitive oder sonstige) Einstellung hervorzurufen bzw., was den Sprecher betrifft, die Tendenz, durch eben eine solche (kognitive oder sonstige) Einstellung hervorgerufen zu werden, wobei diese Tendenzen von "einem elaborierten Konditionierungsprozeß" abhängen.
Es ist offensichtlich, daß ein Kode immer auch ein Repräsentationssystem begründet (Das umgekehrte gilt allerdings nicht, da es „natürliche" Repräsentationssysteme gibt, die sicherlich keinen Kode realisieren. Man denke an Systeme der visuellen oder auditiven Wahrnehmung)
Sind Kodes für die menschliche Kommunikation konstitutiv? Dieser Frage wollen wir uns jetzt zuwenden
Kodes und Kommunikation
Das Kodierungsmodell ist als Modell der menschlichen
Kommunikation unzureichend!
Problem A: Nicht jedes Kodierungssystem (=informationsübertragende System) ist ein Kommunikationssystem (im eigentlichen Sinne); die "Sprache der Bienen" ist sicherlich keine Sprache in dem Sinne, daß die Biene damit etwas meinen kann.
Problem B: Kommunikation ist auch ohne Kode möglich.
Beispiel: Wie fühlst Du Dich? Antwort: Vorzeigen einer Packung Aspirin. (Bedeutung: nicht so toll)
Man kann offensichtlich etwas bestimmtes meinen, ohne sich dabei in irgendeiner Weise eines Kodes zu bedienen.
Aus dem Scheitern, das einfache Kodierungsmodell der Informationsübertragung auf den intuitiven Begriff der Kommunikation zu übertragen, ergeben sich grundlegende Fragen zum Wesen kommunikativer Handlungen und zu den Voraussetzungen, unter denen Handlungen etwas „bedeuten". (Man denke an ein Klopfen an die Wand, daß unter Umständen einen kommunikativen Sinn erhält).
Grices Neuansatz einer handlungstheoretischen
Semantik -- Übersicht
(1) Explikation eines allgemeinen Kommunikationsbegriffs
mit Hilfe handlungstheoretischer Termini. Wann gilt eine bestimmte Handlung
als Kommunikationsversuch? Wann ist ein Kommunikationsversuch erfolgreich?
- s. Grices Aufsatz Meaning (1957).
(2) Kommunikationskonventionen und Sprachkonventionen. Was heißt es, etwas auf konventionelle Weise zu kommunizieren? Läßt sich der sprachliche Bedeutungsbegriff handlungstheoretisch bestimmen (im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Kommunikation)? - s. Lewis' Aufsatz Languages and Language (1975).
(3) Was soll es heißen, daß jemand mit einer Handlung, die bereits eine konventionelle Bedeutung besitzt, jemanden etwas zu verstehen zu geben versucht (konversationell zu implizieren versucht), was von dieser konventionellen Bedeutung nicht gedeckt ist bzw. ihr sogar widerspricht? Nach welchen Prinzipien läßt sich das konversationell Implizierte erschließen? - s. Grices Aufsatz Logic and Conversation (1967).
Im folgenden wenden wir uns nur dem ersten
Problemkreis zu: Wann gilt eine bestimmte Handlung (z.B. Produktion einer
Lautkette) als Kommunikationsversuch? Oder anders ausgedrückt:
Wann bedeutet diese Handlung etwas?
Die Gricesche Theorie der Kommunikation
(1) (a) Rauch bedeutetn
Feuer
(b) Diese Flecken bedeutenn Masern
(c) Der jüngste Haushaltsplan bedeutetn,
daß es ein schlechtes Jahr geben wird
(d) Einen Frack anziehen bedeutetn,
daß der Betreffende gleich auf einen Ball gehen wird
(2) (a) Dieses dreimalige
Läuten der Klingel (im Bus) bedeutetnn,
daß der Bus voll ist. (Der Busfahrer meint damit ...)
(b) Vorzeigen von Aspirin auf die Frage "Wie geht es?"
bedeutetnn „nicht so toll".
(c) Die Tür ist offen bedeutetnn
(i) eine Feststellung über eine bestimmte Situation;
(ii) eine Aufforderung, die Tür zu schließen;
(iii)eine Aufforderung, den Raum zu verlassen, ...
Versuch 1:
x bedeutetnn etwas (S meint etwas
mit dem Äußern von x / S verwendet x zur Kommunikation) gdw.
x wurde von S mit der Absicht geäußert,
bei H etwas zu bewirken (z.B. bei H eine Überzeugung hervorzurufen
- wobei eine Bestimmung dieser Überzeugung zugleich eine Bestimmung
dessen ist, was x bedeutetenn)
x bedeutetnn etwas gdw.
Intend(S, x, Tut(H,r)) (Informationsabsicht) |
Versuch 2:
x bedeutetnn etwas gdw.
x wurde von S mit der Absicht geäußert,
bei H etwas zu bewirken und S beabsichtigt außerdem, daß H
die Absicht hinter seiner Äußerung erkennt
x bedeutetnn etwas gdw.
I: Intend(S, x, Tut(H,r)) (Informationsabsicht) II: Intend(S, x, KH(I)) (Kommunikationsabsicht) |
Versuch 3:
S meinte etwas mit dem Äußern von
x gdw.
S produziert das Ereignis x in der Absicht,
im Hörer H eine bestimmte Reaktion dadurch zu erzeugen, daß
H eben diese Absicht bemerkt.
(S beabsichtigt, daß die Äußerung von x bei einem Hörer H eine Wirkung mittels der Erkenntnis dieser Absicht hervorruft)
[Der Kommunikationsversuch des S ist dann erfolgreich,
wenn S die Reaktion bei H dadurch hervorruft, daß H die Absicht des
S erkennt, diese Reaktion herbeizuführen]
x bedeutetnn etwas (S meinte etwas
mit dem Äußern von x) gdw.
I: Intend(S, x, Tut(H,r)) (informative Absicht) II: Intend(S, x, KH(I)) (kommunikative Absicht) III: Intend(S, x, KH(I) cause Tut(H,r)) (Erfüllung der kommunikativen Absicht führt zur Erfüllung der informativen Absicht) |
Konsequenzen aus dieser Definition:
(1) Ein Kommunikationsversuch ist dann erfolgreich, wenn S die informative Absicht erkennt (also die kommunikative Absicht erfüllt): KH(Intend(S, x, Tut(H,r)).
(2) Definition eines Kommunikationsversuchs und Realisierung eines Mechanismus zur erfolgreichen Kommunikation (Erfüllung der kommunikativen Absicht) sind verschiedene Dinge.
(3) Diese Analyse liefert den Ausgangspunkt, um zu verdeutlichen, wie Diskrepanzen zwischen Sprecherbedeutung (meaning-nn) und Satzbedeutung entstehen können.
Literatur