[Quelle: Mauthner-Gesellschaft/Verein der Sprachkritiker]


John Locke (1632-1704)

Von den Wörtern
 
 

Über die Wörter
und die Sprache im Allgemeinen


 


1. Da Gott den Menschen zu einem geselligen Wesen bestimmt hatte, so erschuf er ihn nicht nur mit der Neigung und versetzte ihn nicht nur in die Notwendigkeit, mit seinen Artgenossen Gemeinschaft zu pflegen, sondern stattete ihn auch mit der Sprache aus, die das hauptsächliche Werkzeug und das gemeinsame Band der Gesellschaft werden sollte. Deshalb sind die menschlichen Organe von Natur so eingerichtet, daß sie fähig sind, artikulierte Laute zu bilden, die wir Wörter nennen. Denn auch Papageien und verschiedenen anderen Vögeln kann man beibringen, hinreichend deutlich formulierte Laute hervorzubringen, obgleich sie keineswegs der Sprache fähig sind.

2. Es war daher für den Menschen außerdem die Fähigkeit erforderlich, diese Laute als Zeichen für innere Vorstellungen zu verwenden. Er mußte sie zu Kennzeichen für die in seinem Geist vorhandenen Ideen machen können, wodurch sie auch anderen erkennbar und die Gedanken des menschlichen Geistes von einem zum anderen übermittelt werden konnten.

3. Aber auch das genügte nicht, um die Wörter so nützlich zu machen, wie sie sein sollten. Für die Vollkommenheit der Sprache genügt es nicht, daß Laute zu Zeichen für Ideen gemacht werden können, wenn sich diese Zeichen nicht so verwenden lassen, daß sie mehrere einzelne Dinge zusammenfassen. Denn wenn jedes Einzelding mit einem besonderen Namen bezeichnet werden müßte, so würde die Vielfalt der Wörter ihre Verwendung verwirren.

(Um diesem Übelstande abzuhelfen, erfuhr die Sprache mit der Verwendung 'allgemeiner Ausdrücke' eine weitere Verbesserung, wodurch ein einziges Wort dazu befähigt wurde, eine Vielheit von Einzelexistenzen zu bezeichnen. Diese vorteilhafte Verwendung der Laute wurde nur durch die Verschiedenheit der Ideen ermöglicht, als deren Zeichen sie dienten. Diejenigen Namen nämlich wurden zu allgemeinen, die zu Zeichen 'allgemeiner Ideen' gemacht wurden, während diejenigen Einzelnamen blieben, die man für 'Einzelideen' verwendete.)

4. Außer diesen Namen, die für Ideen eintreten, gibt es noch andere Worte, die man nicht verwendet, um eine Idee zu bezeichnen, sondern um das Fehlen oder die Abwesenheit bestimmter einfacher oder komplexer Ideen oder aller Ideen überhaupt auszudrücken. Dazu gehören zum Beispiel 'nihil' im Lateinischen, 'Unwissenheit' und 'Geistesleere' im Englischen. Von all diesen negativen oder privativen Wörtern kann man eigentlich nicht sagen, daß sie keiner Idee zugehörten oder keine Idee bezeichneten; denn sonst wären sie völlig bedeutungslose Laute. Sie beziehen sich jedoch auf positive Ideen und bezeichnen deren Abwesenheit.

5. Vielleicht führt es uns dem Ursprung aller unserer Begriffe und Erkenntnisse ein wenig näher, wenn wir beachten, wie groß die Abhängigkeit unserer Wörter von bekannten sinnlich wahrnehmbaren Ideen ist und wie diejenigen Wörter, die Handlungen und Begriffe bezeichnen, welche von der Sinneswahrnehmung weit entfernt sind, doch ihren Ausgangspunkt darin haben. Sie werden von sinnlich deutlich wahrnehmbaren Ideen auf abstrusere Bedeutungen übertragen und müssen nun Ideen vertreten, die unserer Sinneswahrnehmung unzugänglich sind. So zum Beispiel: 'sich einbilden, auffassen, begreifen, sich anschließen, verstehen, einflößen, Ekel, Verstörung, Ruhe' usw. sämtlich Wörter, die von den Wirkungen sinnlich wahrnehmbarer Dinge hergenommen und auf bestimmte Modi des Denkens angewandt werden.

So bedeutet das Wort 'Geist' ursprünglich "Atem"; 'Engel' bezeichnet seiner Grundbedeutung nach einen Boten; zweifellos würden wir in allen Sprachen, die wir bis auf ihren Ursprung zurückverfolgten, beobachten, daß die Namen, die solche Dinge bezeichnen, die wir nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen, ihren Ausgangspunkt in sinnlich wahrnehmbaren Ideen haben. Hierdurch können wir bis zu einem gewissen Grad mutmaßen, welcher Art und Herkunft die Begriffe waren, die den Geist der Menschen ausfüllten, die zuerst zu sprechen anfingen. Wir können erraten, wie die Natur den Menschen bereits bei der Benennung der Dinge unvermerkt die Anfänge und Grundlage all ihrer Erkenntnisse eingab, während die Menschen ihrerseits, um Namen zu finden, welche die Operationen, die sie in sich selbst fühlten, oder sonstige sinnlich wahrnehmbare Ideen andern erkennbar machen zu könnten, genötigt waren, von den allgemein bekannten Ideen der Sensation (=Empfindung) Wörter zu entlehnen, um dadurch andern diese in sich selbst erfahrenen Operationen, die keine äußeren sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen zur Folge haben, verständlich zu machen.

Hatte man dann zur Bezeichnung jener inneren Operationen des eigenen Geistes bekannte und anerkannte Namen geschaffen, so besaß man hinreichende Hilfsmittel, um durch Wörter auch alle übrigen Ideen kundzugeben; denn diese konnten ja in nichts anderem bestehen als entweder in äußeren sinnlichen Wahrnehmungen oder in inneren Operationen des Geistes, die dieser an den äußeren Wahrnehmungen vollzieht. Denn wir besitzen, wie oben nachgewiesen, überhaupt nur Ideen, die entweder von außer uns befindlichen sinnlich wahrnehmbaren Objekten herstammen oder aber von dem, was wir in uns selbst fühlen, das heißt von der inneren Tätigkeit unseres eigenen Geistes, derer wir uns bewußt sind.

6. Um aber den Nutzen und die Bedeutung der Sprache als Mittel der Belehrung und Erkenntnis besser zu verstehen, wird es zweckmäßig sein, folgendes zu betrachten:

Erstens:

welchen Dingen der Sprachgebrauch ohne weiteres Namen beilegt
Zweitens:
da alle Namen (mit Ausnahme der Eigennamen) allgemeiner Natur sind und somit nicht für dieses oder jenes Einzelding stehen, sondern für Arten und Gruppen von Dingen, so werden wir zunächst zu betrachten haben, welches die Arten und Gattungen oder, wenn man die lateinischen Namen vorzieht, 'welches die species und genera der Dinge sind, worin sie bestehen und wie sie zustandekommen'. Sind diese (wie es erforderlich ist) gründlich untersucht worden, so wird es uns leichter fallen, die richtige Verwendung der Wörter, die natürlichen Vorzüge und Mängel der Sprache und schließlich die Mittel zu erkennen, die wir anwenden müssen, um den Nachteil einer dunklen oder unsicheren Bedeutung der Worte zu vermeiden.
Ohne diese Nachteile zu vermeiden, ist es nämlich unmöglich, einigermaßen klar und geordnet die Erkenntnis zu behandeln. Da es diese mit Sätzen zu tun hat, und zwar meist mit Sätzen allgemeinen Inhalts, so ist sie mit den Worten enger verknüpft, als man vielleicht annimmt.
 


Über die Bedeutung der Wörter


 


Wenn jemand auch eine Fülle verschiedener Gedanken hegt, Gedanken, die anderen ebensogut Nutzen und Vergnügen bringen könnten wie ihm selbst, so sind sie doch alle in seiner Brust verschlossen, für andere unsichtbar und verborgen; sie können auch nicht durch sich selbst kundgegeben werden. Da nun aber die Annehmlichkeiten und Vorteile der Gemeinschaft ohne eine Mitteilung der Gedanken nicht zu erreichen sind, so mußte der Mensch notwendig gewisse äußere, sinnlich wahrnehmbare Zeichen finden, mit deren Hilfe jene unsichtbaren Ideen, die seine Gedankenwelt ausmachen, andern mitgeteilt werden könnten.

1. Für diesen Zweck war im Hinblick auf Reichhaltigkeit und Schnelligkeit nichts so gut geeignet wie jene artikulierten Laute, die der Mensch mit solcher Leichtigkeit und Mannigfaltigkeit zu erzeugen imstande war. So wird es begreiflich, wie es dazu kam, daß gerade die 'Wörter', die ja von Natur diesem Zweck so vorzüglich angepaßt waren, von den Menschen als Zeichen für ihre Ideen verwendet wurden. Es geschah nicht wegen eines natürlichen Zusammenhangs, der zwischen einzelnen artikulierten Lauten und gewissen Ideen bestände, denn dann würde es in der ganzen Menschheit nur eine Sprache geben. Vielmehr geschah es vermittels einer willkürlichen Verknüpfung, durch die ein bestimmtes Wort jeweils beliebig zum Kennzeichen einer bestimmten Idee gemacht wurde. Der Zweck der Wörter besteht also darin, sinnlich wahrnehmbare Kennzeichen der Ideen zu sein; die Ideen, für die sie stehen, machen ihre eigentliche und unmittelbare Bedeutung aus.

2. Der Wert, den diese Kennzeichen für die Menschen besitzen, besteht entweder darin, daß sie sich ihre eigenen Gedanken zur Unterstützung ihres Gedächtnisses einprägen, oder daß sie ihre Ideen gleichsam zutage fördern und den Blicken anderer unterbreiten. Die Wörter vertreten also ihrer ursprünglichen oder unmittelbaren Bedeutung nach nur 'die Ideen im Geiste dessen, der sie benutzt'; dabei ist belanglos, wie unvollkommen oder sorglos auch immer diese Ideen den Dingen, die sie darstellen sollen, entnommen sein mögen.

Wenn jemand zu einem anderen spricht, so will er verstanden werden; die Absicht seiner Rede ist, daß bestimmte als Kennzeichen dienende Laute dem Hörer seine Ideen kundtun sollen. Demnach sind es die Ideen des Sprechenden, als deren Kennzeichen die Wörter dienen wollen. In dieser Eigenschaft kann sie niemand unmittelbar für etwas anderes verwenden als für seine eigenen Ideen. Denn das hieße, sie zu Zeichen seiner eigenen Vorstellungen machen und sie dennoch auf andere Ideen anwenden; das aber bedeutet, sie gleichzeitig zu Zeichen und nicht zu Zeichen seiner Ideen machen und ihnen effektiv jede Bedeutung nehmen.

Da Wörter willkürliche Zeichen sind, können sie als solche von niemandem unbekannten Dingen beigelegt werden. Damit würde man sie zu Zeichen für nichts, zu Lauten ohne Bedeutung stempeln. Niemand kann seine Wörter zu Zeichen für Eigenschaften von Dingen oder für Vorstellungen im Geiste eines anderen machen, von denen sich in seinem eigenen nichts findet. Bevor man nicht eigene Ideen besitzt, kann man nicht vermuten, daß sie den Vorstellungen eines andern entsprechen. Man kann auch keine Zeichen für sie verwenden; denn das wären Zeichen für etwas Unbekanntes, das heißt tatsächlich Zeichen für nichts. Wenn man sich dagegen auf Grund vorhandener eigener Ideen die Ideen anderer vorstellt, wenn man damit einverstanden ist, ihnen dieselben Namen beizulegen, die sie von andern bekommen, so vollzieht sich dies eben imm noch an den eigenen Ideen, das heißt and Ideen, die man besitzt, nicht aber an solchen, die man nicht besitzt.

3. Dies ist eine beim Gebrauch der Sprache so notwendige Voraussetzung, daß in dieser Hinsicht der Wissende und der Unwissende, der Gelehrte und der Ungelehrte die Wörter, die sie beim Sprechen (in irgendeinem Sinn) verwenden, alle in gleicher Weise gebrauchen. Im Munde eines jeden vertreten sie die Ideen, die er besitzt und durch sie ausdrücken will. Ein Kind, das an dem Metall, das es 'Gold' nennen hört, nichts bemerkt hat, als die glänzende gelbe Farbe, wendet das Wort Gold nur auf seine eigene Idee dieser Farbe und auf nichts anderes an; es nennt daher dieselbe Farbe im Schweif des Pfaus ebenfalls Gold.

Ein anderer, der schärfer beobachtet hat, fügt zu dem glänzenden Gelb das schwere Gewicht hinzu; dann vertritt der Laut Gold, wenn er ihn benutzt, die komplexe Idee eines glänzenden Gelb und einer sehr schweren Substanz. Ein Dritter fügt diesen Eigenschaften die Schmelzbarkeit hinzu; dann bezeichnet für ihn das Wort Gold einen glänzenden gelben, schmelzbaren und sehr schweren Körper. Wieder ein anderer fügt die Dehnbarkeit hinzu. Sie alle gebrauchen übereinstimmend das Wort Gold, wenn sie veranlaßt sind, die Idee auszudrücken, die sie damit verknüpft haben. Es leuchtet jedoch ein, daß es jeder einzelne nur auf seine eigene Idee andwenden kann; er kann es nicht zum Zeichen einer komplexen Idee machen, die er nicht besitzt.

4. Nun können zwar die Wörter, so wie sie der Mensch verwendet, eigentlich und unmittelbar nur die im Geist des Sprechenden vorhandenen Ideen bezeichnen; in den Gedanken der Menschen werden sie jedoch insgeheim auf zweierlei Weise bezogen.

Die Menschen setzen voraus, daß ihre Wörter auch Kennzeichen der Ideen im Geiste anderer sind, mit denen sie sich unterhalten. Denn andernfalls würden sie vergeblich reden und könnten nicht verstanden werden, wenn die Laute, die sie für eine bestimmte Idee verwenden, von dem Hörer auf eine andere Idee bezogen würden. Das hieße zwei Sprachen reden. Gewöhnlich aber halten sich die Menschen nicht mit der Untersuchung auf, ob die Idee, die sie und die andern Teilnehmer einer Unterhaltung im Sinne haben, dieselbe sei; vielmehr halten sie es für ausreichend, daß sie das Wort, wie sie sich einbilden, im Sinne des herrschenden Sprachgebrauchs verwenden; dabei setzen sie voraus, daß die Idee, zu deren Zeichen sie es machen, genau dieselbe sei, welche verständige Leute ihres Landes mit diesem Namen verbinden.

5. Die Menschen wollen nicht, daß man von ihnen denkt, sie sprächen nur von ihren eigenen Einbildungen; man soll von ihnen glauben, sie sprächen von den Dingen, wie sie in Wirklichkeit sind. Deshalb setzen sie oft voraus, daß die 'Wörter auch die Realität der Dinge vertreten'. Da dies jedoch in besonderer Weise von Substanzen und ihren Namen gilt, wie vielleicht das vorige überwiegend für einfache Ideen und Modi, so wollen wir von diesen zwei verschiedenen Weisen der Verwendung der Wörter eingehender handeln, wenn wir dazu kommen, von den Namen gemischter Modi und Substanzen im einzelnen zu reden. Man gestatte mir jedoch bereits an dieser Stelle die Bemerkung, daß es ein Mißbrauch der Wörter ist, der ihre Bedeutung unweigerlich verdunkelt und verwirrt, wenn man sie etwas anderes vertreten läßt als jene Ideen, die wir in unserem eigenen Geist haben.

6. Bezüglich der Wörter ist ferner zu beachten:

Erstens:

Die Wörter sind unmittelbar die Zeichen für die menschlichen Ideen; sie stellen somit die Instrumente dar, mit denen sich die Menschen ihre Vorstellungen mitteilen und füreinander die Gedanken und Auffassungen zum Ausdruck bringen, die sie in ihrer Brust tragen. Durch solchen fortwährenden Gebrauch der Worte entsteht eine so enge Verknüpfung zwischen bestimmten Lauten und den entsprechenden Ideen, daß die Namen, wenn sie gehört werden, fast ebenso schnell gewissen Ideen wachrufen, wie wenn die Objekte selbst, die sie zu erzeugen imstande sind, tatsächlich auf die Sinne einwirken. Offenbar geschieht das bei allen sinnlich deutlich wahrnehmbaren Eigenschaften und bei allen Substanzen, die uns häufig und gewöhnlich begegnen.
7. Zweitens:
Die Wörter bezeichnen in ihrer eigentlichen und unmittelbaren Bedeutung Ideen im Sinne des Redenden. Nun können wir jedoch durch ständige Übung von frühester Kindheit an gewisse artikulierte Laute sehr vollkommen lernen, so daß sie uns schnell auf die Zunge kommen und dem Gedächtnis stets zur Verfügung stehen, ohne daß wir dabei immer ihre Bedeutung sorgsam prüfen oder genau feststellen. Daher geschieht es oft, daß Menschen, wenn sie auch aufmerksam überlegen wollen, ihre Gedanken mehr auf die Wörter als auf die Dinge richten.
Ja, die Wörter werden zum großen Teil erlernt, ehe die ihnen entsprechenden Ideen bekannt sind. So kommt es, daß etliche Leute, und zwar nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene, eine Reihe von Wörtern in derselben Weise aussprechen wie Papageien, nämlich nur, weil sie sie erlernt haben und ihnen die betreffenden Laute geläufig sind. Zweck und Bedeutung haben die Wörter jedoch nur dann, wenn eine feste Verbindung zwischen Laut und Idee besteht sowie die Absicht, daß das eine für das andere eintreten soll; denn ohne eine solche Verwendung sind die Wörter nichts weiter als bedeutungsloses Geräusch.

8. Wie schon gesagt, rufen die Wörter infolge häufigen Gebrauchs bei den Menschen so regelmäßig und so schnell bestimmte Idee wach, daß sie leicht versucht sind, einen natürlichen Zusammenhang zwischen beiden anzunehmen. Daß die Wörter jedoch nur die besonderen menschlichen Ideen bezeichnen, und zwar 'auf Grund einer durchaus willkürlichen Festlegung', erhellt aus folgendem: Die Wörter rufen häufig bei anderen (auch wenn sie nicht dieselbe Sprache sprechen) tatsächlich nicht die Ideen hervor, als deren Zeichen sie uns gelten. Auch besitzt jedermann eine so unverletzliche Freiheit, die Wörter nach Gutdünken für jede beliebige Idee zu verwenden, daß kein Mensch die Macht besitzt, andere zu veranlassen, dieselben Ideen im Sinne zu haben wie er, wenn sie dieselben Wörter benutzen wie er.

Darum gab selbst der große Augustus, der durch seine Macht die Welt beherrschte, zu, daß er nicht imstande sei, ein neues lateinisches Wort zu schaffen; das bedeutet, er könne nicht nach Belieben festsetzen, für welche Idee im Mund- und Sprachgebrauch durch stillschweigende Vereinbarung bestimmte Laute bestimmten Ideen zu; hierdurch wird zwar die Bedeutung des Betreffenden Lautes insoweit beschränkt, als niemand richtig spricht, der diesen Laut nicht auf dieselbe Weise bezieht.

Und niemand spricht verständlich - so möchte ich hinzufügen -, dessen Worte beim Hörer nicht eben die Ideen wachrufen, für die der Sprecher sie verwendet. Was aber auch daraus folgen möge, wenn jemand Wörter so verwendet, daß sie entweder von ihrer allgemeinen Bedeutung oder von dem besonderen Sinn, der ihnen beim Angeredeten zukommt, abweichen, eines ist gewiß: ihre Bedeutung ist auf die Ideen dessen beschränkt, der sie gebraucht, und für nichts anderes können sie als Zeichen dienen.
 
 

Über allgemeine Ausdrücke


 


1. Da alle existierenden Dinge Einzeldinge sind, so würde es vielleicht folgerichtig erscheinen, wenn die Wörter, die den Dingen angepaßt sein sollen, es - bezüglich ihrer Bedeutung - ebenfalls wären. Wir beobachten jedoch gerade das Gegenteil. Die weitaus größte Zahl der Wörter, die alle Sprachen bilden, sind allemeine Ausdrücke. Das beruth nicht auf Nachlässigkeit oder Zufall, sondern auf Vernunft und Notwendigkeit.

2. Erstens ist es unmöglich, daß jedes Einzelding seinen besonderen eigentümlichen Namen erhält. Denn da die Bedeutung und der Nutzen der Wörtern in der Verbindung besteht, die der Geist zwischen seinen Ideen und den Lauten herstellt, welche er als Zeichen dafür verwendet, so ist es bei der Anwendung der Namen auf die Dinge erforderlich, daß der Geist deutlich unterschiedene Ideen von den Dingen besitze und sich gleichzeitig den besonderen, jeder einzelnen Idee zukommenden Namen nebst dessen ausschließlicher Zugehörigkeit einpräge.

Es übersteigt jedoch die Fassungskraft des menschlichen Geistes, von sämtlichen einzelnen Dingen, die ihm begegnen, gesonderte Ideen zu bilden und sich einzuprägen. Alle Vögel und Tiere, die man gesehen, alle Bäume und Pflanzen, die auf die Sinne eingewirkt haben, könnten selbst in dem umfassendsten Sinn keinen Platz finden. Wenn es schon als Beispiel für erstaunliches Gedächtnis gilt, daß manche Generale imstande gewesen sind, jeden einzelnen Soldaten ihrer Armee beim Namen zu nennen, so können wir leicht den Grund dafür finden, warum die Menschen niemals versucht haben, jedes Schaft aus ihrer Herde, jede Krähe, die über ihnen dahinflog, viel weniger jedes Blatt einer Pflanze oder jedes Sandkorn auf ihrem Weg besonders zu benennen.

3. Zweitens, wenn dies auch möglich wäre, so würde es doch zwecklos sein, weil es dem Hauptzweck der Sprache nicht dienlich wäre. Die Menschen würden vergeblich Namen für einzelne Dinge anhäufen, die ihnen zur Mitteilung ihrer Gedanken nicht dienen könnten. Man erlernt Namen und gebraucht sie im Gespräch mit anderen lediglich, um verstanden zu werden. Das geschieht nur dann, wenn infolge von Gewohnheit oder Vereinbarung der Laut, den ich durch die Sprechorgane erzeugt habe, im Geist eines andern, der ihn vernimmt, eben dieselbe Idee erweckt. die ich in meinem Geist damit verbinde, wenn ich ihn ausspreche. Das aber kann nicht bei solchen Namen geschehen, die nur auf Einzeldinge bezogen werden. Solche Ideen würden nur in meinem Geiste vorhanden sein; daher müßten ihre Namen für jeden anderen sinn- und bedeutungslos bleiben, der nicht mit allen und genau denselben Einzeldingen vertraut wäre, die mir bekannt geworden sind.

4. Drittens, nehmen wir an, dies wäre durchführbar (was es meiner Meinung nach nicht ist), so würde doch ein besonderer Name für jedes einzelne Ding den Fortschritt meiner Erkenntnis gar nicht besonders fördern. Die Erkenntnis geht zwar von Einzeldingen aus, erweitert sich aber mit Hilfe von allgemeinen Beobachtungen; dafür aber ist die Zusammenfassung der Dinge zu Arten und allgemeinen Namen das geeignete Mittel. Diese Arten bleiben mit den ihnen zukommenden Namen innerhalb gewisser Grenzen; sie vermehren sich nicht fortwährend über das Maß dessen hinaus, was der Geist fassen kann oder der Zweck erfordert.

Deshalb haben sich die Menschen meist damit begnügt, ohne jedoch ganz darauf zu verzichten, Einzeldinge durch Eigennamen zu unterscheiden, sobald es die Bequemlichkeit verlangt. Darum gebraucht man am häufigsten Eigennamen innerhalb der eigenen Art, mit der man am meisten zu tun hat; denn hier sieht man sich oft veranlaßt, einzelne Personen zu erwähnen. In diesem Gebiet haben einzelne Individuen ihre einzelnen Benennungen.

5. Außer den Personen haben auch Länder, Städte, Flüsse, Berge und andere Ortsbestimmungen ähnlichen Charakters in der Regel ihre besonderen Namen erhalten. Der Grund dafür ist derselbe. Man hat häufig Veranlassung, sie einzeln zu kennzeichnen und anderen in der Unterhaltung gleichsam vorzuführen. Ich zweifle nicht daran, daß wir für die einzelnen Pferde, wenn wir Grund hätten, sie ebensooft zu erwähnen wie die einzelnen Menschen, auch Eigennamen hätten; ein Wort wie Bucephalus würde dann ebenso gebräuchlich sein wie das Wort Alexander. So können wir beobachten, daß Pferdeliebhaber ihren Pferden gewöhnlich ebenso Eigennamen geben, bei denen sie sie nennen und vermittels derer sie sie unterscheiden, wie ihren Dienern; denn sie kommen untereinander oft in die Lage, dieses oder jenes Pferd zu erwähnen, wenn sie es nicht vor Augen haben.

6. Als nächstes wollen wir untersuchen, wie allgemeine Wörter zustande kommen. Denn es erhebt sich die Frage, wie wir zu allgemeinen Ausdrücken gelangen, da doch alle Dinge, die existieren, Einzeldinge sind? Wo finden wir die allgemeinen Typen, die sie vertreten sollen? Wörter werden allgemein, indem man sie zu Zeichen für allgemeine Ideen macht. Ideen werden dadurch allgemein, daß man sie von allen örtlichen und zeitlichen Umständen trennt und alle anderen Ideen von ihnen loslöst, die sie möglicherweise auf diese oder jene Einzelexistenz beschränken könnten. Auf diesem Wege der Abstraktion erhalten sie die Fähigkeit, mehr als ein Individuum darzustellen, von denen jedes (wie wir es nennen) wegen der in ihm enthaltenen Übereinstimmung mit jener abstrakten Idee einer bestimmten Art angehört.

7. Um dies noch etwas deutlicher nachzuweisen, wird es vielleicht ratsam sein, unsere Begriffe und Namen von ihrem Ursprung an zu verfolgen und zu beobachten, in welcher Stufenfolge wir fortschreiten und durch welche Schritte wir von frühester Kindheit an unsere Ideen erweitern. Nichts ist einleuchtender als die Tatsache, daß die Ideen von den Personen, mit denen Kinder zusammenkommen (um bei diesem Beispiel zu bleiben), ebenso wie die Personen selbst, ihrem Charakter nach Einzelideen sind. Die Ideen für die Amme und die Mutter sind in ihrem Geiste gut ausgebildet und stellen gleich Bildern, die dort von ihnen vorhanden sind, nur diese Einzelwesen dar. Die Namen, die die Kinder ihnen zuerst gegeben haben, sind auf die betreffenden Einzelwesen beschränkt; die Namen 'Amme' und 'Mutter', die die Kinder verwenden, beziehen sich allein auf jene Personen. Später, wenn die Zeit und die Erweiterung ihres Gesichtskreises sie die Beobachtung machen ließen, daß es sehr viele andere Dinge in der Welt gibt, die durch gewisse gemeinsame Eigentümlichkeiten der Gestalt und verschiedener anderer Eigenschaften ihren Eltern und den Menschen, an die sie gewöhnt sind ähneln, bilden sie eine Idee, an der ihrer Ansicht nach jene zahlreichen Wesen teilhaben; dieser Idee geben sie zum Beispiel den Namen 'Mensch'. So gelangen sie zu einem allgemeinen Namen und zu einer allgemeinen Idee. Dadurch schaffen sie nichts Neues. Sie schalten aus der komplexen Idee, die sie von Peter und Jakob, von Marie und Johanna hatten, nur dasjenige aus, was einer jeden eigentümlich ist, und behalten zurück, was ihnen allen gemeinsam ist.

8. Auf dieselbe Weise, wie man zu dem allgemeinen Namen und zu der Idee 'Mensch' gelangt, schreitet man leicht zu noch allgemeineren Namen und Begriffen fort. Denn wir beobachten, daß gewisse Dinge sich von unserer Idee 'Mensch' unterscheiden und sich deshalb nicht in diesen Namen miteinbegreifen lassen; diese Dinge weisen aber dennoch bestimmte Eigenschaften auf, die sie mit den Menschen gemein haben. Indem man nun diese Eigenschaften allein festhält und sie zu einer Idee zusammenschließt, gelangt man wieder zu einer neuen und noch allgemeineren Idee. Dieser gibt man einen Namen und schafft so einen umfassenderen Ausdruck.

Diese neue Idee wird nicht dadurch gebildet, daß man etwas Neues hinzufügt, sondern nur, wie vorher, dadurch, daß man die Gestalt und verschiedene andere Eigenschaften, die durch den Namen 'Mensch' gekennzeichnet sind, ausschaltet und nur einen Körper mit Leben, mit Sinnen und mit einer aus eigenem Antrieb erfolgenden Bewegung übrig behält, der unter dem Namen 'Tier' erfaßt wird.
 
 
 

Literatur: John Locke, 'Versuch über den menschlichen Verstand', Drittes Buch / Von den Wörtern, Hamburg 1981