Was Bedeutungen sind II: die
Gricesche Antwort
Sprache dient der Kommunikation. Wirkliche
Kommunikation ist nur denkbar, wenn der Produzent eines „Signals" damit
etwas meint, er dem Signal also eine Bedeutung (in einem
der Sinne dieses Wortes) zuschreibt. Dies scheinen Binsenweisheiten. Doch
in den meisten Arbeiten wird der Bedeutungsbegriff ganz unabhängig
von einem kommunikativen Rahmen entwickelt. Paul Grice hat versucht, diese
Lücke zu schließen. Zur Einführung in diese Problematik
ist es zweckmäßig, mit einigen einfachen Grundbegriffen aus
der technischen Informatik zu beginnen.
Das Kodierungsmodell der Kommunikation
Kode = System, daß Paare [Mitteilung,
Signal] erzeugt.
Signal = Modifikation der äußeren
Umgebung
Mitteilung = interner Zustand, der bestimmte
semantische Inhalte darstellt (Gedanken, Sachverhalte).
Beispiele
(1) Morsekode
(2) "Sprache" der Bienen
(3) natürliche Sprachen?
Shannon und Weavers Kodierungsmodell ist inspiriert von der Technologie der elektronischen Datenübertragung. Die Basisidee ist jedoch viel älter:
(1) Aristoteles: Sprachlaute sind Symbole zur Beeinflussung der Seele
(2) Grammaire de Port-Royal: ... Wörter können als bestimmte Lautfolgen angesehen werden, die von Menschen als Zeichen benutzt werden, um ihre Gedanken auszudrücken.
(3)Locke: „Es war daher für den Menschen außerdem die Fähigkeit erforderlich, diese Laute als Zeichen für innere Vorstellungen zu verwenden. Er mußte sie zu Kennzeichen für die in seinem Geist vorhandenen Ideen machen können, wodurch sie auch anderen erkennbar und die Gedanken des menschlichen Geistes von einem zum anderen übermittelt werden konnten."
(4)Saussure: Sprache (Language) ist ein System von Zeichen, das Ideen ausdrückt. Es ist daher mit Systemen des Schreibens, den (gestischen) Alphabeten Taubstummer, symbolischer Riten, politischer Formeln, militärischer Signale etc. vergleichbar.
(5)Stevenson (1944) (zit. nach Grice): Kausale Theorien: x bedeutet nur dann etwas, wenn x die Tendenz hat, bei einem Hörer eine (kognitive oder sonstige) Einstellung hervorzurufen bzw., was den Sprecher betrifft, die Tendenz, durch eben eine solche (kognitive oder sonstige) Einstellung hervorgerufen zu werden, wobei diese Tendenzen von "einem elaborierten Konditionierungsprozeß" abhängen.
Es ist offensichtlich, daß ein Kode immer auch ein Repräsentationssystem begründet (Das umgekehrte gilt allerdings nicht, da es „natürliche" Repräsentationssysteme gibt, die sicherlich keinen Kode realisieren. Man denke an Systeme der visuellen oder auditiven Wahrnehmung)
Sind Kodes für die menschliche Kommunikation konstitutiv? Dieser Frage wollen wir uns jetzt zuwenden
Kodes und Kommunikation
Das Kodierungsmodell ist als Modell der menschlichen
Kommunikation unzureichend!
Problem A: Nicht jedes Kodierungssystem (=informationsübertragende System) ist ein Kommunikationssystem (im eigentlichen Sinne); die "Sprache der Bienen" ist sicherlich keine Sprache in dem Sinne, daß die Biene damit etwas meinen kann.
Problem B: Kommunikation ist auch ohne Kode möglich.
Beispiel: Wie fühlst Du Dich? Antwort: Vorzeigen einer Packung Aspirin. (Bedeutung: nicht so toll)
Man kann offensichtlich etwas bestimmtes meinen, ohne sich dabei in irgendeiner Weise eines Kodes zu bedienen.
Aus dem Scheitern, das einfache Kodierungsmodell der Informationsübertragung auf den intuitiven Begriff der Kommunikation zu übertragen, ergeben sich grundlegende Fragen zum Wesen kommunikativer Handlungen und zu den Voraussetzungen, unter denen Handlungen etwas „bedeuten". (Man denke an ein Klopfen an die Wand, daß unter Umständen einen kommunikativen Sinn erhält).
Grices Neuansatz einer handlungstheoretischen
Semantik -- Übersicht
(1) Explikation eines allgemeinen Kommunikationsbegriffs
mit Hilfe handlungstheoretischer Termini. Wann gilt eine bestimmte Handlung
als Kommunikationsversuch? Wann ist ein Kommunikationsversuch erfolgreich?
- s. Grices Aufsatz Meaning (1957).
(2) Kommunikationskonventionen und Sprachkonventionen. Was heißt es, etwas auf konventionelle Weise zu kommunizieren? Läßt sich der sprachliche Bedeutungsbegriff handlungstheoretisch bestimmen (im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Kommunikation)? - s. Lewis' Aufsatz Languages and Language (1975).
(3) Was soll es heißen, daß jemand mit einer Handlung, die bereits eine konventionelle Bedeutung besitzt, jemanden etwas zu verstehen zu geben versucht (konversationell zu implizieren versucht), was von dieser konventionellen Bedeutung nicht gedeckt ist bzw. ihr sogar widerspricht? Nach welchen Prinzipien läßt sich das konversationell Implizierte erschließen? - s. Grices Aufsatz Logic and Conversation (1967).
Im folgenden wenden wir uns nur dem ersten
Problemkreis zu: Wann gilt eine bestimmte Handlung (z.B. Produktion einer
Lautkette) als Kommunikationsversuch? Oder anders ausgedrückt:
Wann bedeutet diese Handlung etwas?
Die Gricesche Theorie der Kommunikation
(1) (a) Rauch bedeutetn
Feuer
(b) Diese Flecken bedeutenn Masern
(c) Der jüngste Haushaltsplan bedeutetn,
daß es ein schlechtes Jahr geben wird
(d) Einen Frack anziehen bedeutetn,
daß der Betreffende gleich auf einen Ball gehen wird
(2) (a) Dieses dreimalige
Läuten der Klingel (im Bus) bedeutetnn,
daß der Bus voll ist. (Der Busfahrer meint damit ...)
(b) Vorzeigen von Aspirin auf die Frage "Wie geht es?"
bedeutetnn „nicht so toll".
(c) Die Tür ist offen bedeutetnn
(i) eine Feststellung über eine bestimmte Situation;
(ii) eine Aufforderung, die Tür zu schließen;
(iii)eine Aufforderung, den Raum zu verlassen, ...
Versuch 1:
x bedeutetnn etwas (S meint etwas
mit dem Äußern von x / S verwendet x zur Kommunikation) gdw.
x wurde von S mit der Absicht geäußert,
bei H etwas zu bewirken (z.B. bei H eine Überzeugung hervorzurufen
- wobei eine Bestimmung dieser Überzeugung zugleich eine Bestimmung
dessen ist, was x bedeutetenn)
x bedeutetnn etwas gdw.
Intend(S, x, Tut(H,r)) (Informationsabsicht) |
Versuch 2:
x bedeutetnn etwas gdw.
x wurde von S mit der Absicht geäußert,
bei H etwas zu bewirken und S beabsichtigt außerdem, daß H
die Absicht hinter seiner Äußerung erkennt
x bedeutetnn etwas gdw.
I: Intend(S, x, Tut(H,r)) (Informationsabsicht) II: Intend(S, x, KH(I)) (Kommunikationsabsicht) |
Versuch 3:
S meinte etwas mit dem Äußern von
x gdw.
S produziert das Ereignis x in der Absicht,
im Hörer H eine bestimmte Reaktion dadurch zu erzeugen, daß
H eben diese Absicht bemerkt.
(S beabsichtigt, daß die Äußerung von x bei einem Hörer H eine Wirkung mittels der Erkenntnis dieser Absicht hervorruft)
[Der Kommunikationsversuch des S ist dann erfolgreich,
wenn S die Reaktion bei H dadurch hervorruft, daß H die Absicht des
S erkennt, diese Reaktion herbeizuführen]
x bedeutetnn etwas (S meinte etwas
mit dem Äußern von x) gdw.
I: Intend(S, x, Tut(H,r)) (informative Absicht) II: Intend(S, x, KH(I)) (kommunikative Absicht) III: Intend(S, x, KH(I) cause Tut(H,r)) (Erfüllung der kommunikativen Absicht führt zur Erfüllung der informativen Absicht) |
Konsequenzen aus dieser Definition:
(1) Ein Kommunikationsversuch ist dann erfolgreich, wenn S die informative Absicht erkennt (also die kommunikative Absicht erfüllt): KH(Intend(S, x, Tut(H,r)).
(2) Definition eines Kommunikationsversuchs und Realisierung eines Mechanismus zur erfolgreichen Kommunikation (Erfüllung der kommunikativen Absicht) sind verschiedene Dinge.
(3) Diese Analyse liefert den Ausgangspunkt, um zu verdeutlichen, wie Diskrepanzen zwischen Sprecherbedeutung (meaning-nn) und Satzbedeutung entstehen können.
Literatur