Epilog: Spinoza und Descartes
GOETHE: Faust II, 6892-6896
Zum Schluß wollen wir
auf ein philosophisches Problem zu sprechen kommen, das auf den ersten
Blick für den Sprachphilosophen nicht besonders spannend zu sein scheint.
Gemeint ist das sogen. Körper/Geist-Problem (oder etwas urtümlicher
gesprochen: Leib/Seele-Problem). Es fragt nach dem Zusammenhang zwischen
Geist und Körper, der Hervorbringung des Geistigen durch das Körperliche
(oder umgekehrt?). Wenn man die Dinge genügend naiv betrachtet,
scheint es eine ganz einfache Lösung für dieses Problem zu geben:
Geistige Phänomene (einschließlich das Phänomen des Bewußtseins)
werden von neurophysiologischen Vorgängen im Gehirn verursacht und
sind selbst Merkmale des Gehirns. Körperliches und Geistiges
schließt sich nicht aus, es sind gewissermaßen die zwei Seiten
einer Medaille. Searle (1996) nennt diese Auffassung "biologischen
Naturalismus". Bezogen auf Bewußtsein als einer Form des Geistigen,
beschreibt Searle diese Auffassung folgendermaßen:
Bewußtsein ist eine höherstufige oder emergente Eigenschaft des Gehirns - und zwar in dem völlig harmlosen Sinn von „höherstufig" bzw. „emergent", in dem Festigkeit eine höherstufige, emergente Eigenschaft von H2O-Molekülen ist, wenn sie in einer Gitterstruktur angeordnet sind (Eis), und in dem Flüssigkeit ebenso eine höherstufige, emergente Eigenschaft von H2O-Molekülen ist, wenn sie, grob gesagt, übereinander herumrollen (Wasser). Bewußstsein ist eine geistige - und folglich physische - Eigenschaft des Gehirns in dem Sinne, in dem Flüssigkeit eine Eigenschaft eines Systems von Molekülen ist. Es liegt mir daran, daß zumindest eines dem Leser an dieser Stelle ganz klar wird: Daraus, daß etwas ein geistiges Merkmal ist, folgt nicht, daß es nicht physisch ist; daraus, dass etwas ein physisches Merkmal ist, folgt nicht dass es nicht geistig ist. (Searle 1996: S. 28)
Einige Rätsel
Der biologische Naturalismus wirft einige
Fragen auf, von deren Beantwortung es abhängt, ob diese bestechend
einfach klingende Auffassung als Lösung des philosophischen Problems
taugt.
(1) Wie kann das Gehirn den Geist verursachen
und gleichzeitig der Geist eine Reihe von Eigenschaften
des Gehirns sein? Folgte daraus nicht, daß
der Geist sich selbst verursacht hat – die gefürchtete Lehre der causa
sui?
(2) Wie kann einerseits die ontologische Eigenständigkeit geistiger Phänomene (Schmerz, Empfindungen, Bewußtsein etc.) gewahrt bleiben und gleichzeitig Schmerzen und andere geistige Phänomene nichts anderes sein als Eigenschaften des Hirns (und vielleicht des übrigen zentralen Nervensystems).
(3) Wie kann Bewußtsein etwas subjektives sein (vgl. Schrödinger zum Begiff des Bewußtseins und zur Frage der Objektivität), wenn es doch gleichzeitig auf (objektivierbare) Eigenschaften des Hirns zurückgeführt werden kann?
Bevor wir uns an den Antworten versuchen, sollen
die beiden vielleicht bedeutendsten Philosophen der Aufklärung kurz
zu Worte kommen, um ihre Ansicht zum Körper/Geist-Problem deutlich
zu machen.
p.113
Der Dualismus Descartes'
Rene Descartes (Renatus Cartesius) lebte von 1596 bis 1650. Schon als junger Mann verspürte er den heißen Wunsch, die wirkliche Natur des Menschen und des Universums zu begreifen. Nach umfassenden Studium erkannte Descartes, daß auf das überlieferte Wissen aus dem Mittelalter nicht notwendigerweise Verlaß war. Er beschloß, Europa zu bereisen, um von nun an nur noch das Wissen zu suchen, das er in sich selber oder 'im großen Buch der Welt' finden konnte. Er trat ins Heer ein und konnte sich so an verschiedenen Orten in Europa aufhalten. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er jedoch in den Niederlanden, einige Jahre auch in Paris. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß Descartes der Begründer der Philosophie der neueren Zeit war. Nach den Aufbrüchen und Wirren der Renaissance war Descartes der erste große Systembauer, der die Philosophie von Grund auf erneuerte und Antworten auf alle wichtigen Fragen der Philosophie gab. Nicht unerwähnt darf der hervorragende Mathematiker Descartes bleiben, der Erfinder der analytischen Geometrie.
Im 17. Jahrhundert stellte die neue Physik (heute als die "klassische Mechanik" bezeichnet) die Frage nach der Natur der Materie, also danach, was die physikalischen Prozesse in der Natur bestimmt. Immer mehr Menschen wandten sich einem materialistischen Weltverständnis zu. Aber je mechanistischer die physische Welt aufgefaßt wurde, desto dringlicher wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen Körper und Seele. Der ursprüngliche Begriff von 'Seele' und 'Geist' zielt auf etwas, das überall im gesamten Organismus als eine Art Lebensprinzip dieses Organismus vorhanden ist - seine Löslösung vom Körper erscheint damit unvorstellbar. Aristoteles z.B. konnte in diesem Sinne auch von einer 'Pflanzenseele' und einer 'Tierseele' sprechen. Erst im 17. Jahrhunderten führten die Philosophen, allen voran Descartes, eine radikale Trennung zwischen Seele und Körper ein. Und zwar deshalb, weil alle Körper, auch die menschlichen, unter den gleichen mechanischen Gesetzen von Druck und Stoß stehen. Die menschliche Seele, der menschliche Geist konnten natürlich nicht Teil dieser Maschinerie sein. Wie vor ihm Platon so kam Descartes zu der Überzeugung, daß zwischen Geist und Materie eine scharfe Grenze besteht. Nun muß natürlich erklärt werden, wie etwas 'Geistiges', etwa ein 'Beschluß' oder ein 'Wille' einen körperlichen, mechanischen Prozeß in Bewegung setzen kann. Ich beschließe, mir einen Fahrschein zu kaufen, und schon bewegen meine Muskeln die Hand zur Börse. Es muß also irgend eine geheimnisvolle Verbindung zwischen Körper und Bewußtsein bestehen. Diese Verbindung ausfindig zu machen, das ist das Hauptproblem für einen dualistischen Ansatz, und, so die einhellige Meinung der meisten gegenwärtigen Philosophen, diskreditiert bereits diese Problemstellung den dualistischen Ansatz nachdrücklich und unwiderruflich.
Sodann bemerke ich, daß der Geist nicht von allen Körperteilen unmittelbar beeinflußt wird, sondern nur vom Gehirn, oder vielleicht sogar nur von einem ganz winzigen Teile desselben, nämlich von dem, worin der Gemeinsinn seinen Sitz haben soll. Sooft sich dieser Teil nun in demselben Zustand befindet, läßt er den Geist dasselbe empfinden, selbst wenn inzwischen die übrigen Teile des Körpers ihren Zustand geändert haben sollten, wie unzählige Erfahrungen beweisen, die ich hier nicht aufzuzählen brauche.
... Es gibt eine kleine Drüse im Gehirn, über welche die Seele in spezifischerer Weise als über die anderen Glieder ihre Funktionen ausübt.
Es ist auch nötig zu wissen,
daß, obgleich die Seele mit dem ganzen Körper verbunden ist,
es einen bestimmten Teil gibt, über den sie mehr als über alle
anderen ganz spezifisch ihre Funktion ausübt. Man glaubt gewöhnlich,
dieser Körperteil sei das Hirn oder vielleicht das Herz; das Hirn,
weil sich mit diesem die Sinnesorgane verbinden, und das Herz, weil man
in ihm die Leidenschaften fühlt. Nachdem ich aber die Sache sorgfältig
untersucht habe, bin ich mir gewiß, erkannt zu haben, daß der
Körperteil, über den die Seele ihre Funktionen unmittelbar ausübt,
keineswegs das Herz ist, noch auch das ganze Gehirn, sondern nur der innerste
von dessen Teilen, welches eine gewisse sehr kleine Drüse ist, die
inmitten der Hirnsubstanz liegt und so oberhalb des Wegs, den die Lebensgeister
von dessen vorderen Kammern zu den hinteren nehmen, hängt, daß
ihre kleinsten
Bewegungen sehr stark den Strom
der Lebensgeister zu verändern vermögen und daß umgekehrt
die geringsten Veränderungen, die im Strömen der Lebensgeister
vorkommen, sehr viel dazu beitragen, die Bewegungen dieser Drüse zu
verändern. (Descartes)
Der Mitbegründer der modernen Quantenphysik, Erwin Schrödinger, hebt die beiden "schreiendsten Widersprüche" hervor, die sich aus demUmstand ergeben, daß mit Descartes dualistischem Ansatz ein "einigermaßen zufriedenstellendes Weltbild bloß erreicht worden ist um einen hohen Preis, nämlich so, daß 'jeder sich selbst' aus dem Bild ausgeschlossen hat, indem er in die Rolle eines unbeteiligten Beobachters zurückgetreten ist."
Die erste dieser Antinomien ist unser Erstaunen, unser Weltbild farblos, kalt, stumm zu finden. Farbe und Ton, heiß und kalt sind unsere unmittelbaren Sinneseindrücke. Was Wunder, daß sie einem Weltmodell fehlen, aus dem wir unsere geistige Persönlichkeit ausschließen mußten?!
Die zweite Antinomie ist unser völlig erfolgloses Suchen nach der Stelle, wo der Geist auf die Materie wirkt - und umgekehrt. Die materielle Welt konnte bloß konstruiert werden um den Preis, daß das Selbst, der Geist, daraus entfernt wurde. Der Geist (mind, mens) gehört also nicht dazu und kann darum selbstverständlich die materielle Welt weder beeinflussen noch von ihr beeinflußt werden. Schon der große Spinoza hat das in einem kurzen, klaren Satz ausgesprochen.
"Nec corpus mentem ad cogitandum, nec mens corpus at motum neque ad quietem neque(si quid est) aliud determinare potest (Ethices P. III, prop. 2),"
Der Monismus Spinozas
Baruch de Spinoza (1632-1677) gehörte zur jüdischen Gemeinde in Amsterdam. Bald wurde wegen seiner angeblichen Irrlehren der Bannfluch über ihn verhängt. Nur wenige Philsosophen sind wegen ihrer Gedanken mehr verfolgt und verspottet worden wie dieser Mann. Weil er die offizielle Religion kritisiert hatte, wurde sogar ein Mordanschlag auf ihn verübt. (Spinoza wandte als erster die sogen. historisch-kritische Betrachtungsweise auf die Bibel an). Sogar von seiner eigenen Familie wurde Spinoza im Stich gelassen. Wegen seiner "Irrlehren" sollte er enterbt werden. Spinoza flüchtete in ein stilles, sehr bescheidenes Leben, das er ganz und gar der Philosophie widmete. Sein Brot verdiente der durch das Schleifen von Linsen. Sein Werk (besonders sein Hauptwerk, die Ethik) strahlt eine erhabene, abgeklärte Ruhe aus und hat auf viele nachfolgende Naturforscher und Philosophen (z.B. Albert Einstein) eine überragende Wirkung ausgeübt.
In seinen Texten zeigt Spinoza deutlich seine Kritik an Descartes’ Lehre. Spinoza ist der Auffassung, daß es nur eine einzige unendliche Substanz (causa sui) gibt, nämlich Gott oder die Natur (deus sive natura). Er identifiziert diese Substanz, die Natur und Gott, weshalb er auch als materialistisch-pantheistischer Philosoph bezeichnet wird. Die ausgedehnte Materie und der denkender Geist aus der Cartesischen Zweisubstanzenlehre sind im Spinozismus lediglich Attribute oder Ausdrucksweisen der einen göttlichen Substanz.
Durch seine Theorie kann Spinoza auch die Frage der Wechselwirkung von Leib und Seele klären, die Descartes noch Schwierigkeiten bereitet hatte: Die eine göttliche Substanz drückt sich sowohl im Modus des Denkens als auch der Ausdehnung aus, und zwar ist dies synchron möglich. Jedem Modus des Denkens (Seele) entspricht also ein paralleler Modus der Ausdehnung (Körper). Auch alles leblos Körperliche ist für Spinoza ein Gedanke Gottes.
Es gibt in Gott auch eine Idee oder eine Erkenntnis des menschlichen Geistes... Diese Idee des Geistes ist auf dieselbe Weise mit dem Geiste vereinigt, wie der Geist selbst mit dem Körper vereinigt ist. Beweis: Daß der Geist mit dem Körper vereinigt ist, haben wir daraus erwiesen, daß der Körper das Objekt des Geistes ist. Daher muß aus demselben Grunde die Idee des Geistes mit ihrem Objekt, d.h. mit dem Geist selbst, auf dieselbe Weise vereinigt sein, wie der Geist selbst mit dem Körper vereinigt ist. - W.z.b.w." (Spinoz: Ethik, zweiter Teil, 20. - 21. Lehrsatz)
Searles Vorschlag, wie
das Körper/Geist-Problem zu lösen ist ohne es zu eliminieren
Searle vertritt die Auffassung,
das weder Dualismus noch eliminativer Materialismus geeignet sind, das
Körper/Geist Problem zu lösen. Für den Dualismus haben wir
oben
die Gründe bereits genannt. Der eliminative Materialismus versucht
Begriffe wie Geist und Bewußtsein zu naturalisieren, d.h. durch Begriffe
einer biologischen Terminologie vollständig zu ersetzen und
damit die ursprünglichen Begriffe (zugunsten materialistischer Begriffe)
zu eliminieren. So etwas wie Überzeugungen, Wünsche, Hoffnungen,
Befürchtungen etc. existieren also nicht wirklich. Eine Spielart
dieser Auffassung - sie wird z.B. von Churchland und Stich
vertreten -, beruht auf der Überzeugung, daß unsere "Alltagspsychologie"
zur Gänze falsch ist , also auch Behauptungen wie "wir trinken, weil
wir Durst haben" oder "Menschen haben Wünsche und Überzeugungen,
die ihre Handlungen beeinflussen". Es ist offenkundig, daß
derartige Theorien auch das Körper/Geist Problem eliminieren. Ob das
Verfahren, philosophische Probleme nicht zu lösen, sondern zu eliminieren,
im vorliegenden Falle legitim ist, darf bezweifelt werden.
Searle hält das Körper/Geist-Problem für ein im Prinzip lösbares philosophisches Problem. Er verteidigt einen biologischen Naturalismus und liefert damit einen modernen Lösungsversuch, der Spinozas grundlegenden Einsichten sehr nahe ist.
Mit seinem biologischen Naturalismus versucht Searle, die Alltagsvorstellung des Menschen von sich selbst, nämlich Wünsche und Überzeugungen zu besitzen und bewußt, frei und rational agieren zu können, mit einer wissenschaftlicher Sichtweise in Einklang zu bringen, derzufolge die Welt aus Materie-Teilchen ohne Geist besteht. Um dies zu erreichen, stellt er zwei grundlegende Thesen auf:
A. Jedes geistige Phänomen
ist von Vorgängen im Gehirn verursacht.
B. Schmerzen und andere geistige
Phänomene sind nichts anderes als Eigenschaften des Hirns
Es soll jetzt kurz gezeigt werden daß der biologische Naturalismus im Prinzip in der Lage ist die eingangs genannten drei Rätsel zu lösen.
(1) Wie kann das Gehirn den Geist verursachen
und gleichzeitig der Geist eine Reihe von Eigenschaften
des Gehirns sein?
Antwort: Searle geht von einem differenzierteren
Begriff der Verursachung aus, der auf der Unterscheidung zwischen Mikro-
und Makroeigenschaften von Systemen beruht. Die meisten uns aus dem Alltag
vertrauten Objekte haben gewisse Makroeigenschaften (z.B. die Festigkeit
eines Tisches, die Durchsichtigkeit von Glas), die durch das Verhalten
der Bestandteile auf der Mikroebene erklärt werden können. „Die
Oberflächeneigenschaft wird sowohl vom Verhalten der Mikrobestandteile
verursacht, als auch gleichzeitig in dem System realisiert, das aus den
Mikrobestandteilen besteht.“ Übertragen auf das Gehirn-Geist-Problem
stellen die geistigen Phänomene Eigenschaften höherer Ebene des
Gehirns dar. So wird der scheinbare Widerspruch zwischen dem „naiven Physikalismus“
(die Auffassung nach der in der Welt ausschließlich Materie-Teilchen
mit ihren Eigenschaften und Beziehungen existieren) und dem „naiven Mentalismus“
(die Auffassung, daß gewisse geistige Phänomene wirklich existieren)
aufgehoben.
(2) Wie kann einerseits die ontologische Eigenständigkeit
geistiger Phänomene gewahrt bleiben, wenn sie doch auf
(objektivierbare) Eigenschaften des Hirns zurückgeführt werden
können?
Antwort: Searle geht von einer differenzierten
Betrachtung der reduktionistischen Methode in den Naturwissenschaften aus.
Dort besitzt die die reduktionistische Methode bekanntlich
einen hohen Stellenwert und ist oft mit Meilensteinen der Theorienbildung
verbunden. Erforderlich ist eine sorgfältige Unterscheidung zwischen
ontologischer
Reduktion und kausaler Reduktion. Beispiele für ontologische
Reduktion ist die Rückführung von Erbanlagen auf DNA-Moleküle,
die Zurückführung von Temperatur auf die mittlere kinetische
Energie umherschwirrender Moleküle, die Zurückführung von
Licht auf bestimmte Eigenschaften elektromagnetischer Wellen. Charakteristisch
für kausale Reduktion ist, daß die Kausalkräfte,
die ein Objekt A ausübt vollständig durch die Kausalkräfte
der zugrundeliegenden Objekte B und ihrer Interaktion erklärt werden
können. Ein Beispiel sind bestimmte Festkörper, deren kausale
Wirkungen (elektische Leitfähigkeit etc.) durch die Kausalkräfte
der entsprechenden Molekül- und Gitterstrukturen erklärt werden.
In der Geschichte der Naturwissenschaften haben erfolgreiche kausale Reduktionen
im allgemeinen die Tendenz, zu ontologischen Reduktionen zu führen.
Das muß aber nicht notwendig so sein. Searles Auffassung ist nun
die, daß bei Begriffen wie Bewußtsein zwar eine kausale Reduktion
möglich ist, die ontologische Reduktion jedoch nicht vollzogen werden
darf. So können wir weiterhin im wörtlichen Sinne davon sprechen,
daß Menschen Meinungen, Wünsche, Absichten, Bewußtsein
haben ohne die Idee aufzugeben, daß Bewußtsein nichts anderes
ist als eine emergente Eigenschaft des Zentralnervensystems. Geistiges
und Physisches koexistieren und erscheinen als die zwei Seiten einer Medaille.
(Für Einzelheiten vgl. Searle 1996, S. 136 ff.)
(3) Wie kann Bewußtsein etwas subjektives
sein, wenn es doch gleichzeitig auf (objektivierbare) Eigenschaften des
Hirns zurückgeführt werden kann?
Antwort: Daß Bewußtsein
etwas subjektives hat scheint eine Binsenweisheit zu sein. Aber auch
Begriffe wie Wärme und Temperatur haben im Alltagsverständnis
etwas subjektives ("Mir ist warm"). Die Reduktion von Temperatur
und Wärme auf Begriffe der statistischen Mechanik führt dazu,
daß die subjektiven Empfindungen, die jemand im Zusammenhang mit
Wärme hat, als von Wärme hervorgerufene subjektive Wirkung aufgefaßt
wird. Das ist im Falle von Wärme und Temperatur natürlich legitim,
nicht aber im Falle der Reduktion von Bewußtsein auf objektivierbare
Eigenschaften des Gehirns.
Könnten wir nicht dasselbe über das Bewußtsein sagen? Im Falle des Bewußtseins haben wir doch ebenfalls die Unterscheidung zwischen den "physischen" Vorgängen und den subjektiven "geistigen" Erlebnissen, warum also läßt sich das Bewußtsein nicht mit Rückgriff auf auf neurophysiologische Vorgänge in der Weise neu definieren, in der wir Wärme mit Rückgriff auf zugrundeliegende physische Vorgänge neu definiert haben? Nun, wenn wir darauf bestünden, die Neudefinition vorzunehmen, dann könnten wir das natürlich machen. Wir könnten beispielsweise "Schmerz" einfach als Muster neuronaler Aktivitäten definieren, durch die subjektive Schmerzempfindungen verursacht werden. Und mit einer derartigen Neudefinition hätten wir für Schmerz eine Zurückführung derselben Art erreicht, wie wir sie für Wärme haben. Doch mit der Zurückführung von Schmerz uaf seine physische Wirkung wird natürlich das subjektive Schmerzerlebnis nicht zurückgeführt, wie ja auch bei der Zurückführung von Wärme das subjektive Wärmeerlebnis nicht auf irgend etwas zurückgeführt wird. Zur Pointe der Zurückführungen gehört es, die subjektiven Erlebnisse abzutrennen und sie aus der Definition dre wirklichen Phänomen auszuschließen; letztere werden dann mit Rückgriff uaf diejenigen Merkmale definiert, die uns am meisten interessieren. Doch wenn die Phänomene, die uns am meisten interessieren gerade die subjektiven Erlebnisse selbst sind, dann läßt sich da nichts abtrennen. (Searle 1996: S. 142)
Searles Unterscheidung zwischen kausaler und ontologischer Reduktion liefert also auch den Schlüssel zur Beantwortung der dritten Frage.
Damit ist im Prinzip umrissen, was es heißt, das Leib-Seele-Problem zu lösen ohne es zu eliminieren. Für eine tatsächlichen Lösung ist der gegenwärtige Entwicklungsstand der Neurophysilogie trotz großer Fortschritte in den letzten Jahren, insbesondere zu den neurophysilogischen Grundlagen des Bewußtseins (vgl. z.B. Crick ), noch völlig unzureichend. Dennoch dürfte klar sein, daß die ins Blickfeld gekommene Lösung des biologischen Naturalismus auch für einige grundsätzliche Fragestellungen der Linguistik relevant ist. Der Bankrott der Computermetapher, die Aufgabe der naiven Vorstellung, daß ein System denken kann, weil in ihm gewisse symbolische Programme ablaufen, der Verlust der Vorstellung, daß ein System Sprache verstehen kann, wenn bestimmte "interne Repräsentationen" prozessiert werden, all dies beginnt allmählich auch zu einem Wandel in den Zielstellungen und Methoden der Linguistik zu führen.
Literatur