Was ist Wahrheit?
Dem
polnischen Logiker Alfred Tarski ist es gelungen, eine Version der Korrespondenztheorie
zu formulieren, die er selbst als „eine formal korrekte und sachlich zutreffende
semantische Definition des Ausdrucks wahre Aussage" bezeichnet.
Bis auf den heutigen Tag ist diese Theorie eine der wenigen logisch-philosophischen
Theorien geblieben, die allgemeine Anerkennung gefunden haben.
Auch wenn die angemessene Darstellung dieser
Theorie eine Menge fortgeschrittener Mathematik verlangt, so sind die wesentlichen
Ideen doch relativ einfach darzustellen und werden in der Vorlesung in
folgender Reihenfolge erörtert:
(1) Objekt- und Metasprache. Die Idee der Quotierung (metasprachliche Zitierung von Ausdrücken der Objektsprache) |
(2) Das Prinzip W
„S" ist wahr dann und nur dann, wenn S, wobei der Platzhalter S durch irgendeinen Satz unserer (Objekt-)Sprache L ersetzt wird. |
(3) Rekursive Definition für „S" ist wahr. |
(4) Nachweis, daß diese Definition das Prinzip W erfüllt. |
Kurz, um P ist wahr zu verstehen, wobei P ein Satz der Objektsprache ist, suche man einfach die metasprachliche Entsprechung von P auf, hier p genannt. P ist wahr heißt dann nichts anderes als p. Was bedeutet „SCHNEE IST WEIß" ist wahr? Es bedeutet Schnee ist weiß. Die einfache Beobachtung, die dem zugrunde liegt, ist daß „SCHNEE IST WEIß" ist wahr dann und nur dann wahr ist wenn Schnee ist weiß wahr ist. Desweiteren kann ein Satz wie „SCHNEE IST WEIß" ist wahr dann und nur dann behauptet werden, wenn der Satz Schnee ist weiß behauptet werden kann. Man beachte, daß wir uns zur Formulierung der letzten Sentenzen in der Metametasprache bewegen mußten.
Ein erstaunliches Resultat dieser Auffassung
ist, daß der Begriff wahr als ein philosophisch neutraler
Begriff erkannt wird. „Wahr ist nur ein Mittel zum semantischen
Aufstieg: für das Erheben von Aussagen von der Objektsprache
zur Metasprache; und das Mittel erlegt einem keinerlei epistemologische
oder metaphysische Verpflichtungen auf" (Putnam 1980).
Ein Beispiel zur Illustration der Methode
von Tarski
Objektsprache:
Terme: FIDO, EMIL
Prädikate: IST SATT, IST
HUNGRIG
Junktoren: UND, ODER
Bildungsregeln:
R1: Ist T ein Term und P ein
Prädikat, dann ist TP ein Satz
R2: Sind A und B Sätze,
dann sind auch A UND B, A ODER B Sätze
Beispiele für Sätze
der Objektsprache sind:
FIDO IST SATT
FIDO IST SATT ODER EMIL IST
HUNGRIG
Metasprache:
Unsere natürliche Sprache,
angereichert mit den Ausdrucksmitteln der (naiven) Mengenlehre. In der
Metasprache kann ich auf die Zeichen der Objektsprache verweisen. Z.B.
kann ich sagen, daß „FIDO" der Name für Fido ist oder daß
der Satz „FIDO IST SATT" wahr ist. Da durch die Verwendung von Großbuchstaben
Konfusionen zwischen Objekt- und Metasprache ausgeschlossen werden, wollen
wir die Quotierungszeichen „..." im Folgenden weglassen.
Übersetzungsregeln:
Zur Formulierung der Übersetzungsregel
benutze ich die „Bezeichnungsfunktion" [|
...
|],
z.B.: [|
FIDO
|]
= Fido (lies: „FIDO" bezeichnet Fido).
Terme:
[|
FIDO |]
= Fido; [| EMIL
|]
= Emil
Prädikate:
[|
IST
SATT |]
= {x: x ist satt}; [| IST
HUNGRIG |]
= {x: x ist hungrig}
Sätze:
Ist P ein Prädikat und
T ein Term, dann gilt:
PT ist wahr genau dann, wenn
[|
T
|]
e
[|
P
|].
Sind A und B Sätze, dann
gilt:
A UND B ist wahr genau dann,
wenn A ist wahr und B ist wahr
A ODER B ist wahr genau dann,
wenn A ist wahr oder B ist wahr
Es kann nun leicht bewiesen werden,
daß für alle Sätze der Objektsprache, das Tarskische Prinzip
W gilt. Z.B. gilt:
FIDO IST SATT ist wahr genau
dann wenn Fido satt ist
FIDO IST SATT ODER EMIL IST
HUNGRIG ist wahr genau dann wenn Fido satt ist oder Emil hungrig ist
Kohärenztheorien
Die Explikation von Tarski leistet eine Definition
des Begriffs ist wahr. Die Frage nach dem Kriterium (oder den Kriterien)
der Wahrheit bleibt damit allerdings offen. Wie ich praktisch entscheiden
kann, ob ein Satz oder eine Aussage wahr ist ergibt sich nicht notwendig
aus dem Verständnis des Wahrheitsbegriffs. Im gleichen Sinne wie mir
eine (zutreffende) Definition von Gold noch keine Prüfmethode für
das Herausfinden von Gold bereitstellt, so liefert eine Definition von
Wahrheit noch keine Methode zum Herausfinden wahrer Aussagen. Und „der
Höfling weiß ganz genau, was es bedeutet, in der Gunst
des Königs zu stehen. Er will wissen, wie man das erreicht." (N. Rescher).
Die Korrespondenztheorie der Wahrheit zielt auf die Klärung des Begriffs Wahrheit. Theorien, die auf Bestätigungskriterien oder Prüfmethoden für wahre Aussagen abzielen, werden Kohärenztheorien der Wahrheit genannt. In den frühen Kohärenztheorien des Wiener Kreises lief es darauf hinaus, daß man im Sinne einer „Konventionstheorie" der Wahrheit eine widerspruchsfreie Menge von „Protokollsätzen" als wahr akzeptierte und dann die Wahrheit der anderen Sätze durch die logische Verträglichkeit mit dieser widerspruchsfreien Menge bestimmt.
Eine andere Auffassung (vgl. Rescher 1973)
geht davon aus, daß wir mit einer Menge M von
Daten konfrontiert
sind, die nicht notwendigerweise miteinander konsistent sind. Daraus eine
widerspruchsfreie Menge zu bilden, die man als Fakten über
den Gegenstandsbereich ansehen kann, ist nach dieser Betrachtungsweise
das Hauptsproblem der Kohärenztheorie. Das Problem der Wahrheitsbestimmung
wird zu einem Ordnungsproblem: Ordnung ist in ein Chaos ursprünglicher
Daten zu bringen, "in dem sichere Evidenz und dürftige Hypothesen
miteinander vermischt sind."
Davidson über Wahrheit und Bedeutung
Tarski benutzt das Schema W als Adäquatheitsbedingung
für die Definition von ist wahr. Diese Theorie mag, abgesehen
von der Frage nach der lexikalischen Semantik des Wörtchens wahr,
den meisten Linguisten ziemlich irrelevant für ihre Zielstellungen
vorgekommen sein. Die Situation hat sich jedoch durch einige einflußreiche
Arbeiten von Donald Davidson grundlegend geändert. Davidson hat vorgeschlagen,
das Schema W von Tarski in einem ganz anderen Sinne zu verwenden. Anstatt
die Objektsprache L als verstanden zu nehmen und wahr als das Wort,
dessen Bedeutung erklärt werden soll, nimmt Davidson die Objektsprache
als das, was erklärt werden soll und ist wahr als das bereits
Verstandene. Darüber hinaus ist natürlich auch die Metasprache
als verstanden anzunehmen.
Um sich die Sache klarzumachen, kann man sich einen Sprecher des Deutschen vorstellen, der kein Englisch kann, dem aber für beliebige Sätze S des Englischen so etwas wie das Schema (W) zur Verfügung steht:
Übrigens erfordert dieses Verfahren nicht, daß dem Sprecher des Deutschen die unendliche Liste aller W-Sätze gegeben werden müßte; was ihm gegeben wird, ist die Wahrheitsdefinition, und das ist eine endliche explizite Definition. Auf diese Weise kann, so Davidson, jede Wahrheitsdefinition für eine Sprache (im Tarskischen Sinn) als eine Bedeutungstheorie für diese Sprache angesehen werden. Und Davidson geht noch weiter, indem er auch die Umkehrung behauptet: „ Jede Bedeutungstheorie für eine Sprache, das heißt jede endliche Beschreibung, welche Bedeutungen für die unendlich vielen Sätze der Sprache projektiert, ist implizit eine Wahrheitsdefinition für die Sprache, und die explizite Tarski-Form ist die ideale Form für formalisierte Bedeutungstheorien." Auf Schwierigkeiten, Modifikationen und Hintergründe dieser Denkweise komme ich an späterer Stelle zurück.
Literatur