Blutner/Hauptfragen der Sprachphilosophie


    Symbolismus und Konnektionismus


                 
                Die Kognitionswissenschaft faßt kognitive Prozesse als Rrechenvorgänge im Hirn auf. Ein Rechenvorgang besteht darin, daß syntaktische Einheiten manipuliert werden. Der Inhalt der syntaktischen Gegenstände - falls sie überhaupt einen haben - ist irrelevant dafür, wie sie verarbeitet werden. Mithin kann Inhalt, wie es scheint, in kognitionswissenschaftlichen Erklärungen nur in dem Maße eine Rolle spielen, in dem Inhaltsunterschiede in der Syntax des Gehirns widergespiegelt werden. GABRIEL SEGAL
                 
                 
    A:   Ein kleines Vögelchen sagte mir, daß Du ein Buch über Konnektionismus und Sprachentwicklung schreibst. Ich kann das nicht glauben. Du mußt den Verstand verloren haben. Wie im Himmel kann ein so nettes Mädchen wie Du in eine so schlechte Gesellschaft kommen. Du mußt doch wissen, daß Konnektionismus nichts anderes ist als Assoziationismus in  technischer Perfektion. Und ich dachte bisher, Du glaubst an so etwas wie Konstruktionismus, Interaktivismus, Epigenese und all diese Dinge.

    B:  Oh, daran glaube ich noch immer. Jedoch helfen mir konnektionistische Vorstellungen dabei, eine klarere Vorstellung darüber zu bekommen, was all das wirklich bedeutet. Diese Vorstellungen erleichtern es sehr, interaktive Modelle von Entwicklungsvorgängen zu finden. Assoziative Modelle beruhten auf der Annahme der Linearität. Die Mehrschichtigen Netze der Konnektionisten verwenden nichtlineare dynamische Systeme, und nichtlineare dynamische Systeme können bekanntlich Beziehungen von bemerkenswerter Komplexität erfassen und lernen. Sie können ganz überraschende, nichtlineare Formen des Wandels erzeugen. Das hat mich dazu gebracht, den Begriff des Entwicklungsstadiums völlig neu zu überdenken.

    B:  Ich kann meinen Ohren nicht trauen! Konnektionistische Netze sind einfach zur Datenerfassung da. Sie erfassen bestenfalls   gewisse statistische Regularitäten in der Umgebung.
    A:  Nein, das mage für die ersten Modelle wahr gewesen sein. Aber die  komplexeren Modelle entwickeln interne Repräsentationen, die abstrakte strukturelle Beziehungen erfassen, die weit über die an der Oberfläche beobachteten Regularitäten hinausgehen.

    B:  Hilfe! Aber wie willst Du das Regel-geleitete Verhalten intelligenter Menschen erfassen? Netzwerke mögen auf der Implementationsebene ganz vernünftig sein. Aber sie könne nicht die Regeln der Grammatik und Dinge ähnlicher Art repräsentieren. Und darum geht es doch, wenn wir menschliche Intelligenz analysieren wollen.

    A:  Wieder ein Trugschluß! Die Transformationen, die während der Verarbeitung in Netzwerken erscheinen, machen eigentlich das Gleiche wie die Regeln in klassischen Systemen. Das Interessante ist, daß dabei etwas ganz anderes geschieht als in expliziten Symbolsystemen und in den Algorithmen serialer Digitalcomputer. Die Repräsentationen und Regeln, die in Zusammenhang mit konnektionistischen Netzen stehen sind implizit und in gewissem Sinne über das ganze Netz verteilt. Sie erfassen unsere Intuitionen über den Status von Regeln in den Kenntnissystemen heranwachsender Kinder. Einen Teil des Reizes der Untersuchung neuronaler Netze besteht darin, herauszubekommen, was das Netz eigentlich gelernt hat, wenn es gewisse Leistungskriterien erfüllt.

    B:  Vom Erhabenen zum Lächerlichen! Das nächste, was Du behaupten wirst ist, das das der Konnektionismus   nativistischen Ideen nicht widerspricht. Wo doch jeder weiß, das Konnektionismus Tabula rasa pur ist. Obwohl die Konnektionisten behaupten, daß sie die Lösungen nicht von vornherein einbauen, schmuggeln sie diese jedoch über geschicktes Fixieren der Gewichte und Verbindungen in das Netz hinein oder sie bewerkstelligen es  dadurch, daß sie den Input geschickt  kodieren, sodaß auf diese Weise die Lösung vorweggenommen wird.

    A:  Wiederum falsch. Erstens gibt es eine Vielfalt verschiedener Spielarten von Konnektionismus und wir orientieren uns an einem biologisch und entwicklungspsychologisch orientierten Konnektionismus. Zweitens steht der  Konnektionismus nicht in Widerspruch mit angeborenen Anlagen natürlich in  Abhängigkeit davon, wie diese Anlagen definiert werden. Du hast recht, wenn Du sagst, daß viele frühen Simulationsversuche in den ersten Lernstadien von einer Tabula rasa ausgehen. Dies hat sich als eine nützliche vereinfachende Annahme erwiesen, um etwas über den Wert und den Typ der angenommenen Strukturen zu erfahren, die für einen gewissen Lerntyp erforderlich sind. Es gibt aber keine logische Unverträglichkeit zwischen Konnektionismus und Nativismus. Das Problem mit den gegenwärtigen nativistischen Theorien besteht darin, daß sie keinen ernsthaften Zugang dafür bieten, was es  biologisch heißen soll, daß etwas angeboren ist. In neuronalen Netzen ist es möglich, verschiedene Möglichkeiten für den Einbau angeborener Anlagen zu explorieren, einschließlich der Rolle kleiner Präferenzunterschiede, die große strukturelle Konsequenzen haben  können, wenn gewisse Umgebungsbedingungen vorliegen. Im Vergleich zu den klassischen Systemen sind wir viel weniger auf das ‚Einschmuggeln‘ von Lösungen angewiesen. Man sollte nicht vergessen, daß konnektionistische Netzwerke selbstorganisierende Systeme sind, die lernen, wie bestimmte Probleme zu lösen sind. ... Konnektionistische Systeme haben ihren eigenen ‚Verstand‘ und überraschen oft ihre Modellierer.

    B:  Jesus Maria, ich brauche einen Drink.  Ihren eigenen Verstand! Was kommt als nächstes?

    A:  Gut, ich nehme das zurück. Aber ernsthaft, die Art und Weise, wie ein Netz lernt ist überraschend einfach, kann aber zu überraschend komplexen Resultaten führen. Wir glauben, daß diese Komplexität eine emergente Eigenschaft von auf einfache Weise miteinander wechselwirkenden Systeme ist. ...

    (aus Elman et al. 1996: Rethinking innateness. The MIT Press.)