Was (mentale) Repräsentationen
sein können
Bevor wir uns nun auf individuelle Sprecher konzentrieren und den kognitivistischen Sprach- und Bedeutungsbegriff betrachten, soll zunächst klargemacht werden, was mit dem Begriff der mentaler Repräsentationen gemeint ist. Mentale Repräsentationen sind, kurz gesagt, bestimmte interne Zustände, die dazu dienen, äußere Inhalte anzuzeigen. Unser Klärungsversuch besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil behandelt das kognitions-psychologische Problem, welche Arten interner ‚mentaler' Zustände empirisch gerechtfertigt sind. Der zweite Teil (Vorlesung 5) behandelt die philosophische Frage, auf welche Weise mentale Zustände auf externe Inhalte gerichtet sein können. (Im Anschluss an Cummins nenne ich dies das Problem der Repräsentation). Da sich das Problem der Repräsentation unterschiedlich stellt, je nachdem von welcher Auffassung interner Zustände man ausgeht, ist das philosophische Problem eng mit dem kognitionspsychologischen Problem verknüpft.
Mentale Repräsentationen als geformte
Denkgegenstände (Scholastik)
Die Aristotelische Metaphysik (griech.:
metà tà physikà; in der ersten Gesamtausgabe der Schriften
des Aristoteles wurden die 14 die allgemeinen Prinzipien betreffenden Schriften
nämlich hinter den physikalischen eingeordnet) beruht u.a.
auf dem Dualismus zwischen Stoff und Form. Der reine Stoff ist ebensowenig
zu finden wie die reine Form. Auf der ‚Unterlage' Stoff formt sich die
Form des Gegenstands aus. Es gibt nun zwei Arten von Stoffen: physikalischer
Stoff und geistiger Stoff. Beide Stofftypen werden durch die gleichen Eigenschaften
geformt.
Ein roter Ball ist physikalischer Stoff, der durch die Eigenschaften des
Rotseins und der Kugelförmigkeit geformt wurde. Einen roten Ball zu
erkennen
besteht nach dieser Auffassung darin, den geistigen Stoff mit ebendiesen
Eigenschaften zu formen. Das Resultat ist die Idee von einem roten
Ball. (Bei Aristoteles nimmt der empfangende Geist die Denkgegenstände
der Form nach auf und leitet sie an den tätigen Geist, der
letzendlich die Form verwaltet und entscheidend ist für die geistige
Tätigkeit).
Nach dieser Auffassung besteht zwischen rotem
Ball als Idee und rotem Ball als physikalischen Objekts eine
hohe Ähnlichkeit, analog etwa zur Ähnlichkeit zwischen
einer Glocke und ihrer Gußform. Und diese Ähnlichkeit ist es,
die dem Begriff von Repräsentation
im scholastischem Bildezugrunde
liegt und den Zusammenhang zwischen Welt und Geist herstellt.
Mentale Bilder
Auf die empiristischen Philosophen George
Berkeley (1685-1753) und David Hume (1711-1776) geht die Vorstellung zurück,
daß mentale Repräsentationen bildhafter Art sind. Damit wird
zwar die scholastische Metaphysik beiseite geschoben, aber die Grundidee
der Ähnlichkeit zwischen Repräsentation und repräsentiertem
Objekt bleibt bestehen. Bildhafte Repräsentationen sind also Analogrepräsentationen.
Dies unterscheidet sie von symbolischen Repräsentationen, wo
ein willkürlicher und nicht auf Ähnlichkeit beruhender Zusammenhang
zwischen Symbol und dargestelltem Objekt besteht.
Eindrucksvolle experimentalpsychologische Belege für die Realität von Analogrepräsentationen findet man in den Arbeiten von Shepard und Mitarbeitern über mentale Rotation (z.B. Shepard & Metzler 1971).
Den
Versuchspersonen wurden Paare von aus Holzklötzen bestehenden dreidimensionalen
Objekten gezeigt. Die Versuchspersonen sollten herausfinden, ob es sich
um zwei verschiedene Ansichten desselben Objekts oder um zwei verschiedene
Objekte handelt. Von den 1600 Bildpaaren waren 800 ‚identische' Bildpaare
und 800 ‚nichtidentische' (gespiegelte) Bildpaare. In allen Durchgängen
wurden die Objekte in unterschiedlichen Rotationswinkeln gezeigt. Der empirische
Befund ist nun folgender: Wenn die Objekte die gleiche 3-dimensionale Form
hatten, nahmen die Entscheidungszeiten linear mit der Differenz der Rotationswinkel
zu. Zur Erklärung dieses Ergebnis meinen Shepard & Metzler: ‚Obwohl
Selbsbeobachtungsberichte mit Vorsicht genossen werden müssen, behaupten
alle Probanden ..., daß sie, um den nötigen Vergleich zu ziehen,
sich erst das eine Objekt als in dieselbe Richtung gedreht vorstellen mußten
wie das andere und daß sie diese geistige Drehung nicht schneller
als in einem bestimmten, begrenzten Tempo ausführen konnten.' Aus
dem linearen Zusammenhang zwischen Verdrehung und Rotationszeit ermittelten
die Autoren ein ‚Durschnittstempo' von 60 Grad pro Sekunde.
Symbolische Repräsentationen
Mentale Bilder bilden nicht die einzige Möglichkeit
zur Repräsentation der Wirklichkeit. Vermutlich war Thomas
Hobbes (1588-1679) der erste, der vorgeschlagen hat, mentale Repräsentationen
als sprachartige Symbolmuster anzusehen. Erst die neuere Experimentalpsychologie
hat für derartige Spekulationen eine empirische Basis geschaffen.So
gibt es zahlreiche neuropsychologische Befunde, welche die getrennte Speicherung
und Verarbeitung von symbolischen (verbalen) und bildhafte Vorstellungen
nahelegen. Ähnliches belegen Wiedererkennungs und Reproduktionsexperimente.
So wurde gezeigt, daß der Wiederholungseffekt signifikant größer
ist, wenn ein Item zunächst als Wort und dann als Bild wiederholt
wird, als wenn es zweimal als Wort oder zweimal als Bild wiederholt wird.
Aufgrund derartiger Beobachtungen postulierte Paivio (1971) die Existenz
zweier unabhängiger Kodierungssysteme: ein verbales (= symbolisches)
System und ein bildhaftes System.
Für die Verwendung beider Kodierungsformen beim Denken gibt es offensichtlich gravierende individuelle Unterschiede. So berichtet der Schriftsteller Aldous Huxley von seiner Unfähigkeit zum Erzeugen bildhafter Vorstellungen:
„Es fällt mir schwer, und soweit ich mich erinnern kann, ist es mir immer schwer gefallen, Dinge bildlich vorzustellen.Worte, selbst die prägnanten Worte von Dichtern, evozieren keine Bilder vor meinem inneren Auge. Keine hypnagogischen Visionen umspielen mich vor dem Einschlafen. Wenn ich mich an etwas erinnere, dann taucht die Erinnerung nicht als deutlich sichtbares Ereignis oder Objekt vor mir auf. Durch eine Willensanstrengung kann ich mir ein nicht sehr lebhaftes Bild davon vor Augen rufen, was gestern nachmittag geschah ... Aber solche Vorstellungsbilder haben nur wenig Substanz und absolut kein autonomes Eigenleben. Sie stehen zu realen, wahrgenommenen Objekten in derselben Beziehung wie Homers Geister zu den Menschen aus Fleisch und Blut, die sie im Schattenreich besuchen. Nur wenn ich eine hohe Temperatur habe, erwachen meine Vorstellungsbilder zu eigenem Leben. Menschen, die ein lebhaftes bildhaftes Vorstellungsvermögen besitzen, muß meine innere Welt merkwürdig eintönig, reduziert und uninteressant erscheinen."
Albert Einstein liefert dazu das bekannte Gegenstück:
„Die Worte der Sprache, so wie sie geschrieben oder gesprochen werden, scheinen in meinem Denkmechanismus keine Rolle zu spielen. Die geistigen Einheiten, die als Elemente meines Denkens dienen, sind bestimmte Zeichen und mehr oder weniger klare Vorstellungsbilder, die willkürlich reproduziert und miteinander kombiniert werden können ... dieses kombinatorische Spiel scheint die Quintessenz des produktiven Denkens zu sein-bevor es Verbindungen mit logischen Konstruktionen in Worten oder Symbolen anderer Art gibt, die anderen mitgeteilt werden können. Die oben erwähnten Elemente sind in meinem Fall visueller und gelegentlich muskulärer Art. Herkömmliche Worte oder andere Zeichen müsen erst in einem zweiten Stadium mühsam gesucht werden, wenn das obenerwähnte assoziative Spiel hinreichend gefestigt ist und nach Wunsch reproduziert werden kann."
Auf die Einzelheiten der Beschaffenheit symbolischer Repräsentationen kann an dieser Stelle nicht wirklich eingegangen werden. Für manche Autoren nehmen symbolische Repräsentationen die Gestalt von Symbolketten an, die logischen Formelsprachen nachgebildet sind (z.B. Fodors ‚Sprache des Geistes'). Für andere ähneln sie eher algebraischen Modellen (z.B. Johnson-Lairds mentale Modelle). Und wieder andere gehen in Analogie zu Datenstrukturen in Computern von sogen. semantischen Netzen aus.
Aktivierungs-Zustände in neuronalen
Netzen
Nach dieser auf den Hirnforscher Donald Hebb
(vgl. Hebb 1949) zurückgehenden Auffassung sind mentale Repräsentationen
ein biologisches Phänomen. Sie sind nämlich nichts anderes als
bestimmte neurophysiologische Zustände. Ähnlich wie Symbolstrukturen
repräsentieren neurophysiologische Zustände die Realität
nicht aufgrund von Ähnlichkeit. Diese Beziehung muß auf andere
Weise begründet werden (sogen. grounding problem). Neuronale
Netze (und genetische Algorithmen) bieten ein geeignetes Mittel, dieses
Problem näher zu untersuchen und ansatzweise zu lösen.
Diese Auffassung von mentalen Zuständen steht nicht notwendig im Gegensatz zur symbolistischen Auffassung mentaler Zustände. Man kann nämlich symbolische Zustände als eine Art ‚Abkürzung' von einfachen oder auch sehr komplexen neuronalen Zuständen auffassen (in Analogie zur theoretischen Physik, genauer der statistischen Thermodynamik, wo man die Begriffe Temperatur, Wärme, Druck zur Beschreibung komplexer Bewegungszustände mechanischen Systemen verwendet, die aus unzähligen umherschwirrenden Molekülen bestehen). Der entscheidende Punkt dabei ist, symbolische Strukturen im Prinzip als reduzierbar anzusehen, und zwar auf neuronale Zustände. Symbolische Strukturen nehmen dabei einen Beobacher-abhängigen Charakter an. Denn wir, die Beobachter, sind es, welche die Symbole vergeben, weil uns das zweckmäßig erscheint und der Übersichtlichkeit dienlich (s. Vorlesungen 8 und 10).
Ein Beispiel: Farbensehen