Was ist Repräsentation?
Die Begründung des Zusammenhangs zwischen inneren Zuständen und
äußeren Inhalten
Das (Begründungs-) Problem der Repräsentation
fragt, auf welche Weise die Beziehung zwischen einem internen (geistigen
oder mentalen) Zustand A und seinem (externen) Inhalt B zustande kommt.
Es scheint nun im wesentlichen drei Möglichkeiten
zu geben, diesen Zusammenhang zu realisieren:
I Ähnlichkeit zwischen A und B
Dies entspricht dem scholastischen Bild von
Repräsentation. Die Grundidee lebt in gewisser Weise durch die kognitionspsychologische
Vorstellung von Analogrepäsentationen fort. Es besteht eine
Ähnlichkeit zwischen repräsentierten Objekten und den Ideen (Vorstellungen,
'mentalen Repräsentationen'), welche diese Objekte darstellen.
Der Zusammenhang zwischen Repräsentation und repräsentiertem
Objekt ist also nicht willkürlich, sondern folgt der strengen
Auflage von Ähnlichkeit.
II Repräsentation als s-Repräsentation
Dies ist die in der vorigen Vorlesung erläuterte
Idee der interpretativen Semantik. Es wird angenommen, daß A nicht
isoliert dasteht, sondern mit anderen Zuständen ein symbolmanipulatives,
algebraisches System bildet.(Man kann sich das vielleicht so vorstellen,
daß der interne Zustand A sich aus anderen Zuständen mit Hilfe
gewisser ‚Rechenoperationen' ergibt). Durch die schon behandelte Homomorphiebedingung
werden nun Beschränkungen für Zuordnung zwischen den internen
Zuständen (kurz: den As) und den angezeigten externen Inhalten
(kurz: den Bs) wirksam. Die Hoffnung, daß diese Beschränkungen
stark genug sind, um eine eindeutige Zuordnung zu realisieren, erfüllt
sich leider nicht. Zusätzliche Filterfunktionen werden nötig.
Unser Begründungsproblem fragt nach der Natur dieser Filter.
III Kovarianz zwischen A und B
Die Idee ist, kurz gesagt, daß die Verbindung
zwischen internen Zuständen und ihrem (objektiven) Inhalt durch bestimmte
Kausalbeziehungen hergestellt wird, welche die
As und die Bs
korrelieren.
Diese Vorstellung geht auf Locke zurück. Man kann sich ihren Inhalt
an einem Geschwindigkeitsmesser, wie er in Autos verwendet wird,
vergegenwärtigen: Der Geschwindigkeitsmesser kann verschiedene Zustände
einnehmen, die seinem Zeigerstellungen entsprechen. Die physikalische Konstruktion
dieses Meßgeräts ist nun so, daß eine Zuordnung (Kovarianz,
Korrelation) zwischen der realisierten Geschwindigkeit des Autos und
der Zeigerstellung besteht. Wichtige gegenwärtige Verfechter dieser
Auffassung sind Fodor (1987), Dretske (1981, 1986, 1998), Millikan (1984)
und viele andere.
Allgemeine Anforderungen an eine Lösung
des ‚Problems der Repräsentation'
Bevor wir uns etwas genauer der Kovarianztheorie
zuwenden, müssen wir uns klarmachen, welche Anforderungen eine Lösung
des Repräsentationsproblems stellt.
Unser Ziel ist es, eine gewisse Klausel C
anzugeben, sodaß folgendes Schema (K) zutrifft:
Drei weitere wichtige Bedingungen wurden bereits von dem empiristischen Philosophen Locke erkannt. Locke stellte fest, daß (i) ein Symbol beliebige Bedeutung erhalten kann und (ii) Symbole (z.B. Wörter) indirekt oder falsch gebraucht werden können. Und er fragte sich, wie (ii) wahr sein kann, wenn (i) wahr ist. Lockes Antwort lautete, daß dem Konventionen zugrunde liegen, die erlernt werden müssen.
(2) Bedingung der Arbiträrität
Der Zusammenhang zwischen den As und
den Bs ist willkürlich, beruht also nicht auf der Ähnlichkeit
zwischen A und B.
(3) Bedingung der Regelhaftigkeit
Die Menge der Verbindungen zwischen den As
und den Bs ist nicht durch eine endliche Liste gegeben. Statt dessen
müssen Generalisierungsmechanismen am Werke sein (konventionelles
Regelsystem)
(4) Möglichkeit von Fehlrepräsentationen
Die Theorie, welche die Bedingung C beschreibt,
soll die Möglichkeit von Mißverständnissen und Fehlrepräsentationen
behandeln.
Die vierte Forderung ist besonders geeignet, all zu glatte Lösungsversuche auszusondern. Es gibt noch eine fünfte Bedingung, die gegenwärtig besonders eifrig diskutiert wird:
(5) Bedingung der Naturalisierung (z.B.
Fodor 1987, Dretske 1998, Bieri 1981)
Die Bedingung läuft darauf hinaus, den
Zusammenhang zwischen den As und den Bs rein biologisch zu
beschreiben, ihn also vollständig durch nichtgeistige, physische Phänomene
zu erklären. Oder anders ausgedrückt: Im Vokabular von C dürfen
keine Beoabachter-abhängigen Begriffe (intentionale Terme etc) auftauchen.
Die Befriedigung der fünften Bedingung ist ein sicheres Mittel, um eine Zirkularität der Definition für C zu vermeiden. Sprachphilosophen wie Searle bezweifeln allerdings, daß diese Bedingung einzulösen ist.
Eine Maschine zur begrifflichen Repräsentation
sichtbarer Objekte
Ein Apparat, der geeignet ist, visuelle Objekte
zu repräsentieren, ist einfach zu konstruieren. Dazu benötigen
wir eine Kamera als Eingabeeinheit und ein assoziatives Gedächtnissystem,
um visuelle Muster mit gewissen Reaktionsmustern zu verbinden. Im einfachsten
Fall ist das eine Menge von Karteikarten, auf deren Vorderseiten visuelle
Muster eingetragen sind (z.B. stilisierte Hunde, Katzen und anderes Getier)
und auf deren Rückseite HUND, KATZE und ähnliches geschrieben
steht. Der Gesamtmechanismus-nennen wir ihn C- funktioniert nun so, daß
das projizierte Bild mit den Inputmustern des assoziativen Gedächtnis
verglichen wird. Dasjenige Muster, das am besten zu dem projizierten Bild
paßt, wird zur Ermittlung des assoziierten Reaktionsmusters verwendet..
Es ist nun leicht nachzuvollziehen, daß ein derartiger Apparat alle genannten Adäquatheitsbedingungen erfüllt, außer der vierten Bedingung, die auf eine Behandlung von Fehlpräsentationen hinausläuft.
Das Dilemma: Fehlrepräsentation
vs. Naturalisierung
Der eben beschriebene Mechanismus realisiert
eine kausale Verknüpfung zwischen internen symbolischen Zuständen
A
(hier beschrieben durch VOGEL, KATZE, HUND) und ihren äußeren
Inhalten B (den Vögeln, Katzen und Hunden). Der Mechanismus
gewinnt seine Anzeigefunktion auf ähnliche Weise wie der Geschwindigkeitsmesser,
nämlich durch Kovarianz:
Die Probleme potenzieren sich, wenn man anerkennt, daß Fehlfunktionen nicht die einzige Ursache von Fehlrepräsentationen sein können. So beruhen die meisten bekannten Sinnestäuschungen nicht auf Fehlfunktionen unseres Wahrnehmungsapparats, sondern sie erwachsen aus bizarren, nichtidealen äußeren Bedingungen.
Beispiel einer Sinnestäuschung beim
dreidimensionalen Sehen
Zum dreidimensionalen Sehen reicht es nicht
aus, daß jedes einzelne Objekt dreidimensional gesehen wird. Man
muß die gesamte Szenerie in 3D sehen, damit man sieht, welche Objekte
näher und welche weiter entfernt sind. Die Perspektive liefert einen
starken Hinweis darauf. In einem ‚verzerrten Zimmer' (nach seinem Erfinder,
Adelbert Ames, ‚Ames-Zimmer' genannt) sind Linien eingezeichnet, die einen
rechteckigen Eindruck des Zimmers vortäuschen, obwohl in Wirklichkeit
die eine Seite viel länger ist als die andere. Personen, die an der
hinteren Wand entlang laufen (von links nach rechts) scheinen zu wachsen.
Die scheinbare Größe der Personen bestimmt sich aus der (falschen)
Perspektive, die von den Zimmerwänden erzeugt wird.
Abbildung: Ames-Zimmer. Links: So sieht das
Ames-Zimmer aus, wenn man durch ein Guckloch hineinschaut. Rechts: Ein
schematisches Diagramm des Zimmers.
Beispiel einer Sinnestäuschung bei
der Objekterkennung
Auf der Abbildung scheint man an seltsames
weißes Objekt zu erkennen. Diese Illusion wird durch die Unterbrechung
der schwarzen Linien verursacht, wodurch ein darüberliegendes Objekt
vorgetäuscht wird. Illusorische Konturen erscheinen uns oft ‚wirklicher'
als reale Konturen.
Die folgende Explikationsskizze macht deutlich, vor welches zusätzliche Problem uns der Versuch zur Naturalisierung stellt. Wir müssen nämlich erklären, was ideale Bedingungen sein sollen, und zwar ohne in einen Zirkel zu geraten (also indirekt auf ‚korrekte Repräsentationen' bezug nehmen).
Beispiel einer modernen Kovarianztheorie:
Dretskes Naturalisierungsversuch
Dretske (1986, 1998) hat neben Fodor (1987)
ein der Ausarbeitung einer naturalistischen Theorie von Repräsentation
gearbeitet. Die Grundthese von Dretske kann wie folgt in unsere bisherige
Sequenz von Explikationsversuchen eingereiht werden:
Beispiel
„Ein Geschwindigkeitsmesser
S repräsentiert die Geschwindigkeit B eines Autos. Seine Aufgabe,
seine Funktion besteht darin, anzuzeigen (dem Fahrer) Informationen darüber
zu liefern, wie schnell das Auto fährt (B). Wenn er seine Aufgabe
erfüllt, dann entsprechen seinen verschiedenen Zuständen (Zeigerpositionen:
„40", „60", usw.) Jeweils verschiedene Geschwindigkeiten (40 km/h, 60 km/h,
usw.). Entsprechend der Funktion dieses Instruments soll jeder seiner Zustände
über eine jeweils andere Geschwindigkeit des Autos informieren ..."
Entscheidend in Dretskes Definition ist der Begriff der Funktion, die ein natürliches oder künstliches System haben kann. Für künstliche Systeme ist die Funktion durch seinen Konstrukteur bestimmt, der bestimmte Normen setzt oder Konventionen abschließt. Die resultierenden Repräsentationen nennt Dretske konventionelle Repräsentationen. Beispiele sind Meßinstrumente und künstlich geschaffene Codes.
Die Crux ist nun, davon auszugehen, daß es auch auf natürlichem Wege erworbene Funktionen und somit natürliche Repräsentationen gibt. Beispiele sind das Repräsentationssystem, welches dem Bienentanz zugrunde liegt sowie Systeme der visuellen oder auditiven Wahrnehmung. Eine von Darwins wichtigen Entdeckungen besteht bekanntlich darin, daß Körperorgane und -mechanismen im relevanten Sinn dazu bestimmt sein können, eine gewisse Aufgabe zu erfüllen ohne daß es jemanden gibt, der sie dazu bestimmt hätte. Es gibt also Intentionen oder Zweckbestimmungen ohne daß man jemanden denken muß, der diesen Zweck bestimmt. Wenn man dies also als gegeben und biologisch präzisierbar ansieht, dann kann man zurecht behaupten, eine naturalistischen Theorie von Repräsentation begründet zu haben (Dabei ist sicherlich die biologische Selektion nicht als die einzige Quelle natürlicher Funktionen anzusehen. Lernen ist ebenso eine Quelle)
Eine wichtige von Dretske eingeführte
Unterscheidung ist die zwischen repräsentationalen Tatsachen
(Tatsachen über bestimmte (normative) Beziehungen zwischen Zuständen
und Inhalten; z.B. daß es 60 km/h bedeutet, wenn die Nadel auf „60"
zeigt) und bloßen Tatsachen in bezug auf Repräsentationen
(z.B. Tatsachen über bestimmte Eigenschaften von Zuständen, Arbeitsweise
des repräsentationalen Mechanismus, daß es z.B. ein Kabel von
den Achsen des Autos zum Tachometer gibt).
repräsentationale Tatsachen | (bloße) Tatsachen in bezug auf Repräsentationen |
beschreibt die (normative bzw. durch erworbene Funktion begründete) Korrelation zwischen den Zuständen Ai von S und den Werten von B | isolierte Tatsachen über S oder B, Tatsachen über physikalischen Aufbau des Systems usw. |
Verbindung teleologischer und informationstheoretischer Ideen | Fehlen dieser Verbindung |
„Alle mentalen Tatsachen sind repräsentationale Tatsachen" |
„Man versteht den Geist nicht dadurch besser, daß man Wissen über den biologischen Mechanismus erwirbt, mit dessen Hilfe der Geist seine Aufgabe erfüllt" |
Searles Fundamentalkritik an Versuchen,
Intentionalität zu ‚naturalisieren'
„Ein Symptom dafür, daß mit diesem
Projekt etwas ganz grundsätzliches im argen liegt, ist die den intentionalen
Begriffen innewohnende Normativität. Sie setzen Standards der Wahrheit,
Rationalität, Widerspruchsfreiheit usw., und solche Standards können
unmöglich einem System zu eigen sein, das völlig aus nackten,
blinden, nichtintentionalen Kausalbeziehungen besteht. Bei der Billardkugel-Verursachung
gibt es keinen normativen Bestandteil. Sich auf Darwin berufende biologische
Ansätze zur Naturalisierung intentionalen Gehalts versuchen, dieses
Problem zu umgehen, indem sie sich auf etwas berufen, was sie für
den von sich aus teleologischen, normativen Charakter der Biologie halten.
Doch das ist ein arger Fehler. An darwinistischer Evolution ist nichts
Normatives oder Teleologisches. Darwins bedeutendste Leistung bestand ja
gerade darin, daß er Zweck und Teleologie aus der Evolution entfernt
und an ihre Stelle natürliche Formen der Auslese eingesetzt hat. Darwins
Theorie zeigt, daß die scheinbare Teleologie biologischer Abläufe
eine Täuschung ist.
Aus dieser Einsicht läßt sich leicht die weitere Erkenntnis gewinnen, daß Begriffe wie „Zweck" und dergleichen niemals biologischen Organismen an sich zukommen (es sei denn, in diesen Organismen selbst gibt es bewußte intentionale Zustände oder Vorgänge). Und selbst Begriffe wie „biologische Funktion" sind immer relativ zu einem Beobachter, der den Kausalbeziehungen einen normativen Wert zuordnet. Es gibt keinen faktischen Unterschied am Herzen, der dem Unterschied zwischen den beiden folgenden Aussagen entspricht.
1. Das Herz bewirkt, daß Blut gepumpt
wird.
2. Es ist die Funktion des Herzens, Blut zu
pumpen.
Doch die zweite Aussage ordnet den schieren Kausaltatsachen, die das Herz betreffen, einen normativen Status zu, und das geschieht wegen unseres Interesses an der Beziehung dieser Tatsache zu einer ganzen Reihe von anderen tatsachen (z.B. unser Überlebenstrieb). Kurz gesagt, den evolutionären Mechanismen und sogar den biologischen Funktionen selbst fehlt jeder Zweck und alle Teleologie. Alle teleologischen Merkmale sind ganz und gar im Geist des Beobachters." (Searle 1996: 68-69).
Definitionen wie (K-D) werden also, wenn Searle
recht hat, niemals ohne Beobachter-abhängige Eigenschaften auskommen.
Eine streng objektivistische, naturalistische Analyse des Repräsentationsbegriffs
ist eine Fiktion. Das schließt natürlich nicht aus, im Rahmen
soziologischer Theorien zu einer Begründung von Normen und Konventionen
zu gelangen und damit in einem ganz anderen Sinne eine „Naturalisierung"
des Repräsentationsbegriffs zu erreichen. „Repräsentation" wird
dann zu einem emergenten Phänomen in einer Gesellschaft individueller
Nutzer, die über gewisse individuelle „Korrelationsmechanismen" verfügen.
(Dies verallgemeinert die in der zweiten Vorlesung behandelte Vorstellung
von Gärdenfors, derzufolge gemeinsame Bedeutungc als emergentes
Phänomen in einer Gesellschaft individueller Nutzer anzusehen ist,
die über Bedeutungeni verfügen).